Achtsamkeit mit Nebenwirkungen
Als in den 70er Jahren die Lichtorgel in den Discos auftauchte war das ein Ereignis: sie konnte die Musik in buntes Licht umsetzen. Es war ein visueller Tanz der Maschine, in den man eintauchen konnte.
Heute können Maschinen Gefühle in Licht umsetzen. Bunte Felder zeigen an, welche Bereiche im Gehirn bei welchen Gefühlen aktiv sind. Eine Maschine tanzt so ihren Gefühlstanz mit den Menschen. Dies ist mindestens so faszinierend wie damals die Lichtorgel.
Achtsamkeit – Faszination
Ebenso faszinierend ist, dass einige Menschen ihre Gefühle so kontrollieren können, dass sie in der Maschine bestimmte Bilder erzeugen.
Der Tanz zwischen Mensch und Maschine wird immer enger.
Da ist dann auf der einen Seite ein Mann, der aufgrund langjähriger Meditationspraxis gelernt hat, zwischen Empathie und Mitgefühl einfach umzuschalten. [1] Zentrale Aspekte des Lebens wie die Unwillkürlichkeit und die Unverfügbarkeit werden von ihm einfach umgangen.
Totentanz
Dieser Mensch schlüpft nun in das MRT hinein. Die Maschine, die zu keinerlei Emotionen in der Lage ist und der Mann, der sich zum umschaltenden Automaten degradiert, unterhalten sich über das Leben und produzieren bunte Bilder.
Das ist nicht faszinierend, sondern ein gruseliges vielsagendes Bild.
Was für ein Wissen über das Leben kann in dieser lebensfernen Anordnung entstehen?
Achtsamkeit – Nebenwirkungen
„If your mind is empty, it is always ready for anything, it is open to everything.” Shunryu Suzuki
Zumindest können die zahlreiche Studien[2] zeigen, dass Achtsamkeitsübungen und Meditation den Menschen ändern können.
Inzwischen gibt es auch Untersuchungen, die dies nicht nur positiv sehen.
In einer aktuellen Studie[3] wurde den Probanden ein Film vorgeführt, indem die schlechte Behandlung der Tiere in der Fleischproduktion gezeigt wurde.
Die empathische Reaktion, in Zukunft weniger Fleisch zu essen, konnte tatsächlich durch eine Achtsamkeitsübung stark abgeschwächt werden.
Die unmittelbare Kette Wahrnehmung – Bewertung – Handlung wurde mit einer Atemübung unterbrochen.
Die Autoren warnen gerade bei Kindern vor dieser Lücke. Sie haben noch keine gefestigte Moral. Die sich in der Achtsamkeit bildende Leere kann eben mit Allem gefüllt werden.[4]
Achtsamkeit – Verortung
„Ein Scharfschütze, der irgendjemanden umbringen soll – da sind Achtsamkeitsübungen auch wünschenswert, nur eben mit einem anderen Ziel.“[5]
Meditation kann dabei helfen, mit Stress und dem „Hamsterrad“ umzugehen. Auch manche Krisen können durch die Fokussierung besser angegangen werden. Aber bessere Menschen werden so nicht gemacht.[6] Dies belegen schon die vielen Berichte über die Verquickung von ZEN und Faschismus, Hasspredigten in Myanmar, vergewaltigende Gurus, Faszination bei Nazigrößen[7] usw.
Wirkungen
Und dies ist kein Missbrauch einer guten Methode, sondern nur die andere Seite des sehnsuchtsvollen westlichen Blickes auf sie. Ja, Achtsamkeit und Meditation wirken. Der unwillkürliche lebendige Ausdruck wird aber explizit unterbrochen. Und auch das wirkt.
Achtsamkeit ist eine Methode mit einem Menschen- und Weltbild, mit Wirkungen und Nebenwirkungen und einem großen Potential. Einen verantwortungsvollen guten Platz für diese Praxis sehe ich aber noch nicht. Ist sie Wellness, Krisenintervention, Therapie, spiritueller Weg …?
Als zentrales Leitbild für mich ist sie mir zu gefährlich. Mir fehlen die Unwillkürlichkeit und die Orientierung am Leben.
Quellen:
Matthieu Ricard beschreibt anschaulich wie er in einer Studie von Tania Singer seine Gefühle steuert: Von der Empathie zum Mitgefühl in einem neurowissenschaftlichen Labor. ↑
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Dieser Text ist nicht mehr ganz aktuell, gibt aber einen guten Einblick: Wissenschaftliche Studien über Meditation ↑
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Schindler, Pfattheicher, Reinhard: Potential negative consequences of mindfulness in the moral domain, 2019. ↑
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Mechthild Klein: Die Nebenwirkungen der inneren Ruhe ↑
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Auch Ken Wilber weist in seinem Konzept vom Aufwachen und Aufwachsen darauf hin. K. Wilber: „Integrale Meditation“ ↑
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Beispiele: Myanmar erlässt Haftbefehl gegen buddhistischen Hassprediger, Buddhismus und Nationalsozialismus. Soldaten des Gleichmuts oder Das Schweigen der Lamas ↑
Mich begeistert das „grosse Potenzial“ dass die Achtsamkeit mitbringt. Es entbindet mich leider nicht in jedem Moment wieder neu und hoffentlich verantwortungsvoll damit umzugehen. „Zentrale Leitbilder“ sind vielleicht immer etwas gefaehrlich. Du schreibst der „unwillkuerliche lebendige Ausdruck“ wird explizit unterbrochen. Das ist interessant. Ich glaube nicht, dass wir den „unwillkuerlichen lebendigen Ausdruck“ unterbrechen oder kontrollieren können. Er ‚ist“ einfach.
Hallo Annette, mir ist nicht klar, was du unter einem unwillkürlichen Ausdruck verstehst und warum man den nicht kontrollieren kann.
Beispiel: In einem Experiment werden mehrere hundert Menschen mit einem Gewehrschuss erschreckt und alle reagieren mit einer „Schreckreaktion in ihrer Gesichtsmimik“. Alle, bis auf einen, einen meditationserfahrenen Mönch, der diesen „unwillkürlichen lebendigen Ausdruck“ einfach ausließ.
Mir ist auch nicht ganz klar, was ich darunter verstehe. Ich spiele auf das grosse Thema „Hoffnung, Liebe, Glaube“ an.
Was braucht es denn deiner Meinung nach noch, damit die Methode der Achtsamkeit einen “ verantwortungsvollen Platz“ bekommt?
… dass sie mit ihren Möglichkeiten und Grenzen, mit ihrem Menschen- und Weltbild, mit ihren konstruktiven und destruktiven Seiten möglichst klar gesehen und ernst genommen wird.
Wir leben in einer Welt voller Oberflächlichkeit und Kontaktlosigkeit. Da kommt diese fernöstliche Methode wie eine Rettung aus einer anderen Welt. Das ist keine gute Situation um angemessen betrachtet zu werden.
Wie in einer Beziehung kommt auch hier nach der Verklärung eine differenziertere Betrachtung – hoffentlich.
Ja, das ist gut…..
Der Vergleich mit einer Beziehung ist gut.
Das Verlieben, das Aufeinanderabfahren, das wenig „differenzierte Betrachten“ hat damit seinen Platz, seine Berechtigung und macht Sinn…
auch der unwillkürliche Ausdruck wird durch Werbung und der Menge der Eindrücke in der digitalusierten und globalisierten Welt benutzt um die Massen zu manipulieren und abzustumpfen. jeder wird geil gemacht und zu adrenalinjunlkies.Mitgefühl wird abgestumpft.Am Schluss bleibt nur das achtsame Wahrnehmen und die Schulung trotzdem Empathisch dabei zu bleiben.
Danke für die Anregung.Alles hat auch Schatten und lässt uns nicht aus der Verantwortung für unsre Handlungen.
lieben Gruss Dir
Lieber Michael,
ja, Unwillkürlichkeit ist auch ein Einfallstor, das benutzt wird. Es ist auch ein Bereich, wo wir viel Leid mit anrichten. Sie ist halt die Sicherheitslücke im Leben. Darum scheinen mir ja auch die ganzen Methoden, sie in den Griff zu kriegen, so populär.
Nur verlieren wir so unsere Lebendigkeit und werden immer maschinenähnlicher. Ich denke, dass unser Leben/unsere Unwillkürlichkeit mehr Vertrauen und nicht mehr Kontrolle benötigt.
Danke für deinen Kommentar und liebe Grüße auf die Insel
Ingo
Ein kritischer Artikel zur Achtsamkeit im Tagesspiegel. Hier geht es primär um die Frage wie der Trend zur Achtsamkeit mit Gesellschaftskritik zusammenhängt. Ich denke, dass da einige wichtige Aspekte drin stehen:
Totalitarismus der Selbstoptimierung Die gefährlichen Folgen der Achtsamkeitslehre
Ja, guter Artikel.
Ja, es ist unbedingt wichtig alles kritisch zu hinterfragen und differenziert zu betrachten. Insbesondere den Aspekt, dass sich die Achtsamkeitspraxis in Hinblick auf den kritischen Zustand unserer Erde zum IndividualismusMantra entwickeln kann….. Ja.
Und es ist unbedingt wichtig dem Leben ein bedingungsloses, undifferenziertes, kritikloses Ja entgegen zu bringen.
Über diesen gefühlten Widerspruch in Austausch zu kommen ist mir wichtig. Dein Blog ist ein Rahmen dafür. Dank dafür.
Danke!
„Achtsamkeit ist eine Methode mit einem Menschen- und Weltbild, mit Wirkungen und Nebenwirkungen und einem großen Potential.“ (steht so im Text)
Um das einordnen und verstehen zu können, bedarf es eben einer Auseinandersetzung mit dem Menschen- und Weltbild.
Wir haben die Achtsamkeit und ihre Übungen von den Buddhisten gelernt. Dort liegen die Grundlagen. Dementsprechend wird sie begleitet von einer Unmenge von schönen Zitaten und Texten buddhistischer Weiser. Um eine Auseinandersetzung mit diesen Grundlagen voranzutreiben, stelle ich dem einen eher kritsichen Text zur Seite:
http://www.orgonomie.net/hdobuddha.htm
Ehrlich gesagt habe ich diesen langen Text nur überflogen. Da fehlt mir das Interesse am Buddhismus…..
Ich habe die Achtsamkeit im psychotherapeutischen Kontext kennen und schätzen gelernt. Hier spielt die Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse inbs. der gleichschwebenden Aufmerksamkeit und der Verhaltenstherapie inbs. der Lerntheorien eine Rolle. Daraus lassen sich dann die Wirkfaktoren der Achtsamkeit im psychotherapeutischen Kontext ableiten. Das ist eine andere Grundlage.
Ein Film über die Nebenwirkungen von Meditation bzw. Achtsamkeit:
Krank durch Meditation? Die unbekannten Gefahren der Achtsamkeit
https://www.ardmediathek.de/video/vollbild-recherchen-die-mehr-zeigen/krank-durch-meditation-oder-recherche/swr/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzIwMjA2MzY
Ich finde das ist eine gute Ergänzung zu einem Trend, der naiv eigentlich immer als was positives dargestellt wird.