Das Ende ist nahe
Die Ökos wussten es schon vor 40 Jahren: es sieht schlecht aus für das Leben auf diesem Planeten. So wie wir hausen, kann es nicht mehr lange gut gehen.
Sie hatten ein negatives Zukunftsbild von fehlenden Ressourcen, stummen Frühling, Luftverschmutzung, Artensterben, Umweltkatastrophen usw.
Diese Bilder beeindruckten. Und wir übergaben unsere Zukunft der Ingenieurskunst und einer ausgleichende Vernunft. Wir wollten wie gehabt weiter machen, nur eben irgendwie „umweltverträglich“.
Der stumme Frühling
Heute wissen wir: die Ökos hatten in allen düsteren Visionen Recht! Sie waren die Realisten.
Wer raus geht sieht, dass die Welt verarmt: bei aller Buntheit schwindet das Leben. Die Natur stirbt still.
Es sind keine Gefühlsduseleien von irgendwelchen Spinnern mehr, sondern empirisch belegte Aussagen. Heute gibt es nur noch halb so viele Singvögel wie zu meiner Kindheit. Schmetterlinge, Käfer und anderes Krabbeltier sind bemerkenswerte Raritäten. Die CO2 Konzentration steigt wie gehabt und die Klimakatastrophen kann man sich in der Tagesschau ansehen.
Noch 100 Jahre
Die aktuellen Mahner der Zukunft berufen sich auf Unmengen an Daten und komplexen Berechnungen. So verweist der Klimarat auf Umweltkatastrophen von unvorstellbaren Ausmaßen. Und Stephen Hawking sagt voraus, dass die Menschheit auf dieser Erde noch ca. 100 Jahre zu leben hat.
Das ist eine kaum zu verkraftende Aussage.
Er sagt nicht, dass wir unseren Konsum einschränken müssen oder die Flugreisen teuer werden. Nein, er sagt schlicht, dass die Erde nicht mehr menschenverträglich sein wird. Wir haben sie zugrunde gerichtet und sie wird uns nicht mehr tragen. In 100 Jahren werden wir uns selber ausgerottet haben.
Vielleicht irrt sich Hawking um ein paar Jahre, vielleicht ertrinken und verhungern auch die Menschen außerhalb von Europa schneller als wir…
Reicht das zur Beruhigung?
Zu Ende
So Endzeittexte sind ja nicht neu, aber hier geht es nicht um den Beginn der Apokalypse, sondern darum, wann sie zu Ende ist.
Wenn die Hälfte der Tiere schon nicht mehr da ist, sind wir seit Jahren voll dabei.
Wir ertragen es nur nicht, die täglich gelieferten Fakten ernst zu nehmen.
Und was passiert? Wie reagieren wir?
Gar nicht! Wir machen einfach weiter.
Und warum?
Weil wir nicht anders können. Wir strengen uns doch schon so an.
Jede Veränderung unseres Lebensstils macht mehr Angst, als die offene Fahrt unserer Kinder und Enkel in den Tod.
Eine Chance
Niemand kann sagen, er habe nichts gewusst:
Unser bisheriges Denken hat uns zu einem riesigen Reichtum und an den Abgrund geführt.
Vielleicht haben wir ja noch eine Chance. Dazu müssen wir alle die fragen, die bisher nicht ernst genommen wurden: die schrulligen Ökos, die indigenen Völker, die Esos, die Schamanen, die Veganer, die Weisen, die ….
Und wir müssen unsere Gefühle, unsere Wut, unseren Körper, unsere Intuition wichtig nehmen. Die Vernunft ist einfach überfordert.
Eins dürfen wir auf gar keinen Fall: denen glauben, die bisher die Lösungen angeboten haben! Sie haben ihre Chance ausgiebig genutzt und versagt! Der Verbund aus Industrie und Wissenschaft hat uns hierher gebracht und sie haben erwiesenermaßen keine Mittel, den Kurs zu ändern.
Es wäre einfach irrational und grob fahrlässig, ihnen zu glauben!
Lieber Ingo, vielen Dank für deinen Text! Oft habe ich bei diesem Thema Diskussionen darüber gehört und gelesen, ob das denn wahr sei: Wer genau mit seinen zeitlichen Vorhersagen „Recht“ hat, werden wir leider erst hinterher wissen – da bedeutet Recht haben dann jedoch nicht mehr viel… Ich denke, dass der Satz „Jede deiner Beziehungen spiegelt die Beziehung zu dir selbst“ eben auch für unserer Beziehung zur Erde und zu all ihren Bewohnern gilt.
Ich denke, dass so Sätze wie: „‚Jede deiner Beziehungen spiegelt die Beziehung zu dir selbst‘ eben auch für unserer Beziehung zur Erde und zu all ihren Bewohnern gilt“ eben die zusätzlichen Perspektiven sind, die wir dringend brauchen. Danke!
Guter Text.
Wir brauchen genau das, was wir am meisten fürchten: Veränderung.
Hallo Peter, Danke!
Ich denke, dass der Umgang mit der Angst ein zentraler Punkt bei Veränderungen ist. Dem kann man eben auch nicht mit gutem Willen und vielen Ratschläge begegnen.
Das Ende ist nicht nahe, es wird sich nur etwas verändern und es wird Gewinner und Verlierer geben.
Dieser Planet hat schon viele Veränderungen gehabt.
Hallo Wolfgang, Danke für deine Antwort:
Wir erleben zur Zeit einen Artenrückgang wie zur Zeit der Dinosaurier. Und zwar aufgrund unseres Verhaltens. Kennst du einen soliden Grund, warum der Mensch davon ausgenommen sein sollte?
Der alte Fortschritts- und Technikglaube paart sich heute meist mit dem resignierten merkelschen „weiter so“.
Was ist deine Grundlage?
Der Mensch wird ggf. betroffen sein, aber halt nicht überall. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Eine Endlösung gibt es nicht. Und noch mal, bedingt durch den Klimawandel wird die Sahara im Nordbereich wieder grün. War sie früher vor 5000 Jahren schon einmal.
Des Weiteren ist der starke Anstieg der Weltbevölkerung ein erhebliches Problem. Die Menschen in der 3. Welt wollen natürlich genauso leben wie die Menschen in den Industriestaaten, woher nehmen wir dafür die Ressourcen, selbst wenn wir unseren sog. Wohlstand herunter setzen?
Das von dir angesprochene Problem ist vielfältig, einfache Lösungen gibt es nicht.
Hallo Wolfgang,
1. ja das Thema ist komplex
2. Wir (hier in Deutschland, Europa …) vernichten unsere eigenen Lebensgrundlagen massiv. Dazu baruchen wir niemanden in Afrika & Co.
3. unsere bisherigen „Lösungen“ sind Teil des Problems. Bisherige Problembeschreibungen führen zu keinen Lösungen.
Ohne, dass ich behaupte, das sei alles nicht schlimm, will ich aber doch darauf hinweisen, dass den Menschen zu allen Zeiten die Apokalypse und ihr eigenes Ende unmittelbar bevorzustehen schien, ohne dass sich das jemals global ereignete. Das heißt für die Zukunft gar nichts, es kann trotzdem passieren. Globale Katastrophen waren bisher immer vulkanischen oder astronomischen Ursprungs. Damit verglichen ist unsere hausgemachte Katastrophe theoretisch wenigstens zu managen. Praktisch wird das aber nicht schnell genug geschehen.
Hallo Gilbert. Danke für deine Gedanken
Ja, bisher wurden die Katastrophen anders erlebt. Sie kamen irgendwie von außen: entweder von Gott oder der Natur, die uns gegenübersteht.
Seit ca. 300 Jahren glauben wir, dass wir die Natur managen können. Wir eignen sie uns an und werden gleichzeitig etwas zu Gott. So können wir uns auch als Teil der „Ursache“ der Katastrophen sehen.
Dieser Glaube an das Managen der Natur hat uns dorthin geführt, wo wir jetzt stehen. Ich verstehe nicht woher der Glaube kommt, dass gerade das Managen uns da auch wieder herausführen könne.
Danke Ingo, für deine Frage, woher der Glaube kommt, dass gerade das Managen uns da auch wieder herausführen könne. Nun ganz einfach: Wenn wir jetzt nicht schnell und planmäßig handeln, dann gehen wir unter, so wie du beschreibst. Für „schnell und planmäßig handeln“ habe ich einfach das Wort „managen“ benutzt. Vielleicht ist das nicht ganz treffend, aber du verstehst, was ich meine, oder? Woher kommt dein Glaube, dass Nichthandeln uns da heraus führen könnte?
Die Moderne lebt von dem Bild, dass es da etwas zu ordnen gäbe. Dafür hat Z. Bauman das Bild des Gärtners geprägt. Da ständig, die Wildnis, das Chaos droht, müssen wir fortlaufend „schnell und planmäßig handeln“. Heutzutage wird dies Bild gern mit Vorstellungen aus der Wirtschaft kombiniert und „managen“ genannt. Ja, da stimme ich dir zu. Wie ich bei Andreas I. (s.u.) beschreibe halte ich diese Haltung für unser Problem und nicht für eine Lösung. Ich glaube nicht an das „Nichthandeln“, aber plädiere für eine andere Perspektive.
Mir gefällt dein Artikel Bilder des Trostes, H wie Habicht. Insbesondere die letzten Abschnitte über dei Maßstäbe.
Lieber Ingo,
Ich finde deinen Text genau richtig und wichtig. Das kann nicht deutlich und oft genug gesagt werden !
Das Gesagte macht mir Angst ……wenn ich mich dieser grundlegenden Angst stelle kann ich die Erfahrung machen, dass sie unbegründet ist, da es ein „Ende“ nicht gibt. Somit ist „das Ende ist nahe“ eben auch Unsinn….
Gott sei Dank !
Um handlungsfähig, gesund und fröhlich zu bleiben ist die Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten ein- wie du sagst- absolut zentraler Punkt .
Wie immer habe ich die ganze Tiefe wohl nicht verstanden 😉
aber vielen Dank!
Lieber Ingo
Schön, dass es in deinem Blog auch mal um den Planeten geht . Ich nehme an, auch den äußeren, nicht nur den inneren. Aber wie du später siehst ist der innere auch wichtig.
Ich habe doch noch ein paar kleine und große Fragen, die sich mir beim Lesen unmittelbar stellten. Darf ich die hier mal loswerden?
Ist dein Betrag eher konstruktiv oder eher anklagend gemeint? Ich fühle mich eher angeklagt als jemand der an einer Technischen Universität arbeitet und sich dort um einen konstruktiven Verbund von Wissenschaften, Industrie und Gesellschaft bemüht. Bin ich damit deiner Meinung nach für dieses Thema disqualifiziert oder unterqualifiziert?
Ist die Frage: Wie erreichen wir deiner Meinung nach rein praktisch und in dieser Welt einen globalen Konsens für schnelles Handeln in der gebotenen Eile? erlaubt?
„Und wir müssen unsere Gefühle, unsere Wut, unseren Körper, unsere Intuition wichtig nehmen. Die Vernunft ist einfach überfordert.“
Sorry, sagen sowas nicht auch die neuen aufkommenden Politiker zu ihren Wählern? (Kritik an der political correctness) . Klar, du meinst es natürlich mit den besten Motiven und Hintergedanken.
Woher nehmen wir eigentlich die Gewissheit, dass unser eigenes Gefühlsbarometer richtig geht und wie vermitteln wir dann Andersfühlenden, dass deren Gefühl falsche geeicht sei. Worin siehst du für diese Verständigung eine allgemeingültige Plattform, die die Vernunft ablöst? Natürliche Moral?
Ich glaube Empathie ist der Quell aller konstruktiven Verständigung aber Vernunft ist das Mittel. Aber vielleicht liege ich ja ganz falsch.
Warum sollte eigentlich einer, der ein Problem verursacht hat, nicht mit denselben Methoden, einer neuen Einsicht folgend, das Problem lösen können (Schwert – Pflug)? Worin besteht die Logik? Warum fühlt sich diese Aussage für dich richtig an?
Die gute alte spaltende Frage: Wer sind ‚wir‘, wer sind ‚die‘? Glaubst du das ‚wir‘ (oder ‚ihr‘) ein Opfer einer Konspiration ‚derer‘ sind (seid) ? Ohne zu sagen, wen du mit ‚die, die bisher die Lösungen angeboten haben‘ meinst , ist es schwer deiner Warnung zu folgen. Wer sind die Verdächtigen? Die Klimaforscher? Die UNFCC Delegierten? Die Grünen? Steven Hawking? Politiker? Industriebosse und -arbeiter, Konsumenten von Industrieprodukten? Oder vielleicht alle?
Dann wären wir ja Opfer unsere eigenen Konspiration – oder eben in uns widerstreitender Gefühle!
Möge uns die Vernunft oder ihr Substitut davor schützen!
Danke für deinen aufregenden Artikel !
Viele Grüsse,
Andreas
Lieber Andreas
dein offener Kommentar hat mich sehr gefreut und zum Nachdenken gezwungen. herzlichen Dank!
Ich versuche in ein paar Blöcken auf Fragen einzugehen. Richtig beantworten kann ich sie hier nicht.
herzliche Grüße in den Norden
Ingo
Ob ich anklage?
Wenn man die Aussagen des Club of Rome vor Jahrzehnten als Start für ein Projekt und die heutigen wissenschaftlichen Studien als Evaluationsbericht liest, ist die Aussage doch klar: Ziel nicht erreicht, grundsätzliche Strukturen des Projektes sind untauglich.
Die Daten sagen, dass wir uns umbringen. Die Analysen sagen, dass es kein Grund für die Annahme gibt, dass sich da grundsätzlich was ändert. Und dann zu sagen, dass wir die wesentlichen Strukturen des Projektes beibehalten wollen, ist völlig unvernünftig.
Mich macht das sehr wütend und traurig. Ja, ich klage an. Du nicht?
Die kath. Kirche hat im Mittelalter großes vollbracht. Sie hatte wichtige Theoretiker und Praktiker des Glaubens und bot umfassende Orientierung. Aber als z.B. das Fernrohr neue Fragen aufwarf, war sie einfach überfordert. Das von Gott gegebene Weltbild bot keine sinnstiftenden Antworten. Sie wehrte sich aber heftig, ihre alleinige Deutungshoheit der Welt aufzugeben.
Die Aufklärung grenzte sich hiervon, aber eben auch von der Natur ab. Ins Zentrum stellte sie das, was die Menschen von der Natur unterscheidet und nannte es Vernunft. Aus dieser Distanz will sie u.a. mit der Wissenschaft die Welt erklären und gestalten. Auch hier wird Großes vollbracht. Und es wird eine Orientierung angeboten, die in weiten Teilen unmittelbar angenommen wird. Aber diese Orientierung fährt den Karren auch in den Dreck (das ist die Dialektik der Aufklärung).
Und für dieses Problem hat sie keine angemessene Antwort!
Und sie reagiert wie die Kirche damals. Ihr wesentliches Argument ist: wenn die Menschen nur mehr an uns glauben würden, sich mehr an uns orientieren würden, könnte das Problem gelöst werden.
Das ist keine wissenschaftliche Argumentation, sondern eine politische. Hier geht es nicht um Wissen, sondern um Macht, um den Erhalt der allgemeinen Deutungshoheit.
Ja, das, nicht die Wissenschaftler oder Konspirationen klage ich an!
Ich bin ein wissenschaftsorientierter Mensch und habe hohe Achtung auch vor deiner Arbeit. Sie zeigt uns z.B. die Probleme dieser Welt. Aber sie hat eine bestimmte Perspektive und ist somit (wie alles) auch nur begrenzt sinnvoll. Wir können es uns nicht leisten, sie als allmächtig anzusehen. Ja, das überfordert die Vernunft und es ist dringend notwendig andere Perspektiven mit einzubeziehen.
Anders ausgedrückt: wir müssen den Paradigmawechsel endlich zulassen. Das ist riskant weil niemand weiß was das ist. Und auch hier gibt es einen Punkt der Hingabe, des nicht steuern könnens. Die Angst sagt darum: weiter so. Aber die Vernunft widerspricht: Wir haben keine andere Wahl.
Es gibt das schöne Bild von den Lösungen und dem Pullover.
Wenn ich friere kann ich einen Pullover anziehen, vielleicht dann noch einen und noch einen. Das ist die Lösung erster Ordnung (mehr vom selben). Irgendwann ändert sich aber etwas. Ich kann mich nur noch schlecht bewegen und friere allein deswegen. Da können jetzt noch so raffinierte Pullover entwickelt werden mit neuen Zuschnitten und innovativem Material: das Problem kann mit dieser Lösung nicht gelöst werden. Die Lösung ist zum Problem geworden. Es bedarf einer neuen Lösung.
Die Abgrenzung von Natur und die Gestaltung der Natur war für viele Probleme eine Lösung. Jetzt ist sie ein lebensbedrohliches Problem.
(P. Watzlawick et.a.: Lösungen, Bern 2009)
Ob der Artikel konstruktiv gemeint war?
Nein. Ich habe ein Problem benannt. Ich denke, dass wir immer weiter das Denken in den Vordergrund stellen und es demnächst dem Computer überlassen.
Ich finde, dass wir eine Perspektive einnehmen sollten, die uns innerhalb der Natur verortet und nicht ausschließlich als Gestalter derselben definiert. Für mich ist da der Begriff Leben wichtig. Er verbindet uns mit vielem, anstatt zu distanzieren. Z.B. die Tiere, aber auch das Tierische rückt so näher. Ebenfalls Begriffe wie Vertrauen, Unwillkürlichkeit und Annahme bekommen so neben dem Kontrollieren, Gestalten und Verhandeln eine wichtige Bedeutung. Das habe ich im Artikel angedeutet und für so etwas möchte ich mich einsetzen.
Hallo Andreas
Ich habe gerade ein Interview gehört, in dem verschiedene Ebenen des Weltbezuges neben der Ratio beschrieben werden. Man muss ja nicht alle Definitionen darin teilen, aber es wird sehr deutlich, dass ein alleiniger Bezug auf die Ratio eine Verarmung ist und den komplexen Themen nicht gerecht wird.
Es ist ein großer Fehler sich bei der Lösung auf die Forschung/Technologie zu beschränken. Sie ist gerade mit der Komplexität überfordert
Transrationales Denken, Herzintelligenz und Intuition – eine differenzierte Unterscheidung mit Vivien Dittmar
Lieber Ingo,
schön, dass du auf diese Diskussion zurückkommst und danke für den Link zum Interview mit Thomas Steininger und Vivien Dittmar.
Eine Woche später:
Wer sich mit Philosophie befasst, findet schnell heraus, dass unser Denken begrenzt ist. Dennoch leben wir im unbegrenzten Kosmos (jedenfalls im Vergleich zu unserer Auffassungsgabe). Eine Theorie ist, dass unser Verhalten und das begrenzte Denken schon ausschnittsweise richtig liegen, da sich unsere Vorfahren und auch wir uns im Leben auskennen und uns stabil und erfolgreich weiterentwickelt haben. Wie in allen Zeiten liegen auch jetzt Herausforderungen vor uns. Je mehr wir wissen, desto mehr erkennen wir, wie unübersichtlich die Lage ist. Darüber werden wir uns, anders als die meisten unserer Vorfahren (und viele unserer Mitmenschen, bewusst. Erfordert die Lösung der Probleme ein ganz neues Denken? Und sind der Verstand und die Vernunft in einem unreifen Denken vielleicht Ursache des Problems? Sind vielleicht Gefühle die Schlüssel aller Kreaturen und müssen den kalten Verstand erwärmen?
Ja das sind interessante Fragen. Aber irgendwie regt sich ein Widerspruch mir. Und der Wunsch zu einer Aus-einnander-setzung ist ja wohl auch der Grund für deinen Kommentar. Meine These ist: Das im Interview gesagte ist ein bisschen Überzogen (neues Denken) aber inspirierend (Denken- Fühlen).
Wir sind eine Lebensform, die denken und Bewusstsein entwickelt hat und über uns selbst nachdenken kann. Dabei hat sich etwas entwickelt, was wir Verstand nennen, welchen wir dem Gefühl gegenüberstellen. Der Begriff Gefühl ist nicht ganz einfach, denn er reicht vom Wahrnehmen (Wärmegefühl, Schmerz) bis zur Inspiration Liebe, Verunsicherung, Getriebenheit, Wut. Wo sich die beiden, Verstand und Gefühl, treffen, ist in dem Gefühl der Einsicht, dass ein Konstrukt von allgemeinen Regeln (Theorie, Argumente, Fakten und deren Beziehungen zum Handeln etc. ) mit den Phänomenen der erlebten Wirklichkeit in Übereinstimmung befunden wird. Eine Aussage „dies ist richtig“ oder „ dies ist falsch“ zeugt von einem Gefühl, dass dem so sei. Diese Sichtweise zeigt, wie schwierig es ist zwischen Verstand und Gefühl überhaupt zu unterscheiden.
Wenn also alles ein gleichzeitiges Miteinander von Gefühlen ist, dann geht es in der Debatte wohl um die Frage, welchem dieser Gefühle, Vorrang zu geben sei. Und das ist die Kritik, dass in unserem jetzigen Stand der geistigen Entwicklung der logischen Vernunft (Ratio) zu viel Gewicht bei der Deutung von Problemen und deren Lösungen beigemessen wird.
Was mich im Interview inspirierte, war die Herausarbeitung von fünf Elementen des Denkens. Die Intuition, die Inspiration, das Bauchdenken/Herz/Ganzkörper Denken, das Loslassen und die Ausrichtung.
Diese Elemente zeigen sehr schön, wie und wann Denken und Fühlen miteinander zusammenwirken. Man kann sich einen Denkprozess als eine Kette vorstellen, die mit der Intuition, oder vorher noch Motivation beginnt. Die Intuition legt die ersten Entscheidungen fest. Die Inspiration wird angesichts der Leere, d. h. des Mangels von befriedigenden Antworten, befragt. Da in diesem Stadium das Wissen noch recht unvollkommen ist, ist die Offenheit groß (los- oder zulassen). An dieser Stelle muss also das Bauchgefühl erstmal für weitere Entscheidungen sorgen. Um dieses Stadium aus seiner Endlosschleife zu erlösen, braucht es eine ordnende Instanz, die das Erdachte erinnert und bewertet, und eine Bilanz erstellt, oder einfach eine Deadline. Und ab diesem Moment kommt die Ratio ins Spiel. Was von dem allem, ergibt Sinn? Sinn ist in diesem Zusammenhang Übereinstimmung mit oder Gegensatz zum Wissen. Da man das ganze Wissen, nicht abrufen kann, bleibt die Frage, ist das vernünftig? Und es antwortet das Bauchgefühl mit ja (beruhigend) oder nein („zurück an die Arbeit“). Diesen Bereich kann man auch den gesunden Menschenverstand nennen. Es könnte hier Schluss sein, d.h. mit einer richterliche Entscheidung augenblicklicher Intuition.
Aber manchmal, möchte man auch gerne genau begründen, warum man einen Satz für schlüssig befindet und so vom „ich finde“ zum „es ist“ kommt. Erst diese Stufe eröffnet eine Debatte, die über das „ich finde“ „du findest“ hinausgeht. Nun spürt man in sich, vor welchen Zusammenhängen meine Intuition ja oder nein gesagt hat und schreibt sie auf. Dann fragt man sich, warum gerade dieser Grund so bedeutsam sei oder ob nicht auch noch andere Gründe aufzuführen sind. Dies nennt man auch das kritische Denken. Also werden neue Schleifen des Erspürens des Wahrheitsgehalts in dem was man als Gedanken anführt initiiert – eine Forschungsreise des Bewussten in das unbewusste innere Universum. Dies ist ein langer und mühsamer Weg und man wäre schon längst ausgestorben, müsste man sich, z. B. vor jedem Atemzug solche Gedanken machen und zu allen anderen alltäglichen Vorgängen auch. Deshalb verläuft unser Leben im Wesentlichen auf der Ebene von Gewohnheiten, das heißt im Kern unbewusst ab. Im Tierreich nennt man dies Instinkte.
Wenn es nun aber um wichtige Entscheidungen geht, und Zeit genug dafür ist, dann ist der bewusste Weg möglich. Und der Denker (Ich) geht durch diese Wege, befragt die vielen Instanzen, synthetisiert, denkt kritisch, verwirft, leidet an Widersprüchen und erfreut sich an Geistesblitzen und kommt hoffentlich irgendwo an. Dieses Ankommen nimmt hoffentlich bewusst Bezug auf den Weg aber, die Dinge und Zusammenhänge können auch so kompliziert sein und der Verstand so begrenzt, dass dies nicht möglich ist. Dann hoffe ich, ist das Bauchgefühl durch diese Überlegungen so inspiriert wurde, dass es zu Standpunkt gelangt (unbewusste Synthese). Es mag so sein, und es ist zu hoffen, dass es treffsicherer wird, wenn man gründlicher über die Frage nachgedacht hat und mehr sachdienliche Informationen gesamelt und verstanden hat.
Was im Interview über die Kräfte der Ausrichtung gesagt wurde, war auch interessant und logisch. Es hängt sehr schön mit dem Phänomen des menschlichen Willens zusammen. Darauf einzugehen habe ich jetzt aber keine Zeit.
Meine Schlussfolgerung ist, dass das im Interview gesagte , die Sache ein wenig überzogen hat. Eine ganz neue Stufe des Denkens kann ich in dem gesagten nicht finden. Das man beim Denken auf seinen Bauch oder sein Herz hören und jede andre kritische Instanz, also auch der Vernunft, ist nicht neues Denken. Das Denken auf Gefühlen basiert, ist vielleicht ungewöhnlich, aber nicht unplausibel und sicher bei Spezialisten schon bedacht. Dass das Bauchgefühl eine Quelle von guten Gedanken sein kann, ist jedermann bekannt. Ob es einen wirklichen Wiederstreit zwischen Gefühl und Verstand geben kann oder muss, wo man zwischen beiden abwägen muss, wage ich zu bezweifeln. Es ist kein Widerspruch, sondern Ausdruck für die Notwendigkeit weiterem Nachdenkens und Verstehens.
Ein Begriff, der mir vor kurzem vorkam, ist die Emotionale Intelligenz. Es geht darum, wie gut oder erfolgreich man mit seinen eigenen Gefühlen und denen Anderer umgehen kann. Als ich eine Freundin dazu befragte, ob die emotionale Intelligenz kognitiv oder emotional sei, sagte sie wohl beides, aber frag mich nicht zu welchen Anteilen.
Es mach wohl Sinn, über das Denken, Spüren und Fühlen nachzudenken, zu spüren und zu fühlen.
Lieber Ingo, danke für die Anregung!
Alles Gute und frohes Debattieren
Andreas
Lieber Andreas!
Es freut mich sehr, dass du dich so auf das Thema einlässt! Danke.
So ganz stehenlassen kann ich es aber natürlich nicht. Und so folgt eine kleine Antwort zu dem wichtigen Thema.
Bei dir hört sich das mit der Ratio immer so schön neutral an: halt vernünftig denken. Dies Denken ist bei uns aber seit langem eingebunden in eine bestimmte Perspektive auf die Natur. Sie blickt von außen auf sie und drückt ein Herrschaftsverhältnis aus und fördert die menschengemachte Natur (Technik). Dies nennt Horkheimer „instrumentelle Vernunft“ und dies wollte ich oben kritisieren bzw. deutlich machen, dass sie eben Teil des Problems ist. Sie ist die vorherrschende Art von Ratio insbesondere in den Naturwissenschaften und in den Maßnahmekatalogen der Politik.
Du beschreibst anschaulich wie auch heute schon Emotionen, Bauchgefühl, Intuition usw. im Forschungsprozess genutzt werden. Schön, aber (immer kommen diese Abers ;-)) sie werden eben nur als Vorschritte genutzt. Ich stelle mir das wie einen Trichter mit vielen Filtern vor. Du wirfst allerhand oben rein gehst so deinen Prozess. Gleichzeitig wird aber alles spezifische von Emotion & Co rausgefiltert weil unten soll ja wieder die reine Ratio rauskommen. Im Forschungsbericht beziehst du dich ja nicht auf deine Emotionen, sondern auf das was deine Ration draus gemacht hat.
Beispiel: Wenn es um den Verlust der Artenvielfalt geht, kann ich mit der ratioorientierten Außenperspektive ausgefeilte Modelle zur Orientierung anbieten. Wenn ich meinen emotionalen Zugang zur Welt nutze, würde ich eine ganz neue Art von Wissen einbringen können. Den emotionalen Zugang teile ich zB mit der Tierwelt. Ich bekäme Wissen auf Augenhöhe und nicht von oben nach unten. Ich könnte in deren Welt eintreten und quasi von Innen Wissen erlangen (verstehen statt erklären). Dieses Wissen ist für die Ratio nicht zugänglich. Die Nutzung von diesem Wissen würde automatisch unser Verhältnis zur Tierwelt ändern. Wir würden evtl. so eine Art Zusammenarbeit gestalten können. All das wird konsequent rausgefiltert, so als ob es nicht relevant wäre.
In meinen Augen wäre das aber etwas Neues! Die alte Perspektive als herrschende Krone der Schöpfung hat uns in diese Sackgasse geführt. Es wird Zeit einen Schritt weiter zu gehen.
Oft werden Bilder für das Ende gesucht. Wie ist es, wenn das Unvorstellbare eintrifft? Für mich ist „Cormac McCarthy: Die Straße“ sehr eindrücklich.
Der sehr pessimistischen Perspektive auf unsere Zukunft möchte ich ein Interview mit den Soziologen Hartmut Rosa an die Seite stellen. Auch hier geht es um die Zeit in 100 Jahren und auch er sieht die oben genannten Themen, ordnet sie aber etwas anders und in meinen Augen sehr interessant ein:
https://www.youtube.com/watch?v=BED-m2yL7W8