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Die AFD ist nicht dumm, sondern erfolgreich

Afd Faschismus

„Menschen, die die AfD unterstützen, würden am stärksten unter der AfD-Politik leiden.“

DiW Berlin

Wenn die AFD regiert, würde es ihren WählerInnen ökonomisch schlechter gehen als bisher, meint das DiW. Dieses „AFD Paradox“ wird erklärt „mit einer falschen Selbsteinschätzung vieler AfD-Wähler*innen und mit einer Fehleinschätzung der gesellschaftlichen Realität.“[1] Frei nach dem Spruch „Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber“ werden so die eigenen Vorurteile gegenüber den Rechten wieder bestätigt: Die sind einfach dumm.

Massenpsychologie des Faschismus

Wilhelm Reich: Massenpsychologie des Faschismus
Originalausgabe 1933

Ein sehr ähnliches „Paradox“ beschäftigte die Linke auch vor 90 Jahren: Die ökonomische Situation müsste eigentlich zur Revolution führen und Scharen von Menschen den Kommunisten zulaufen. Stattdessen wählen sie Hitler. Auch damals wurden die Nationalsozialisten lächerlich gemacht und die WählerInnen als dumme Kälber dargestellt.

Schon vor der Flucht vor den Nazis geht Wilhelm Reich einen anderen Weg. Er veröffentlicht schon 1933 die „Massenpsychologie des Faschismus“. Darin nimmt er die Nazis und deren WählerInnen ernst und analysiert deren psychische Struktur. „Der Nationalsozialismus ist unser Todfeind, aber wir können ihn nur schlagen, wenn wir seine Stärken richtig einschätzen und dies auch mutig aussprechen.“[2] Dieses Buch bietet wichtige Argumente für den Kampf gegen die Nazis.[3] Aber anstatt diese zu nutzen, werfen die Kommunisten Reich aus der Partei. Sind die Linken einfach nur dumm?

Psychoanalyse und Faschismus

Andreas Peglau: Unpolitische Wissenschaft?
Wilhelm Reich und die Psychoanalyse im Nationalsozialismus
Faschismus

Auch in der zweiten Heimat von Reich – der Psychoanalyse – gibt es ähnliche Reaktionen. Freud & Co sehen in dem aktiven Antifaschismus von Reich keine Bereicherung. Ganz im Gegenteil. Er stört und Freud fordert: „Befreien Sie mich von Reich“.[4] Peglau beschreibt sehr materialreich und spannend den Anpassungsprozess der Psychoanalyse an die nationalsozialistischen Strukturen.[5] Sie will „unpolitisch“ sein und wird somit nutzbar für die Nazis. Und Reich wird in einer „Reinigungsaktion“[6] bis 1934 aus allen psychoanalytischen Organisationen entfernt.

Wilhelm Reich führte die soziologische und psychologische Perspektive auf den Faschismus zusammen. Gerade im Verständnis der heutigen Rechtsextremen ist diese Sichtweise von großer Bedeutung.

Dumme Rechte

Nein, es ist keine Frage der Intelligenz, ob man Rechts ist oder nicht. Sie sind erfolgreich, weil sie Themen auf eine Art ansprechen, die jenseits von guten Argumenten plausibel ist.

Mich ärgern diese ganzen linken Sprüche auf Facebook & Co, die versuchen diese Menschen lächerlich zu machen. Man schafft sie sich damit evtl. vom Halse und kann sich für einen Moment überlegen fühlen, aber man wird ihnen nicht gerecht und verhindert so eine angemessene Auseinandersetzung. Wie will ich klare Grenzen ziehen, ohne sie tatsächlich zu kennen? Und außerdem wird so nur das Welt- und Selbstbild der Rechten gefestigt.

Hallenser Biographiestudie zur Jugendgewalt

Ingo Diedrich: Aus-einander-setzung mit Gewalt

Um diese Selbstbilder geht es in der „Hallenser Biographiestudie zur Jugendgewalt“.[7] Ganz im Sinne Reichs werden hier die Weltsichten sehr ernst genommen. Es werden Zugänge gesucht, typisiert und beispielhaft dargestellt. Wie sind diese Weltsichten aufgebaut und was macht sie plausibel?
Dies ist eine wichtige Voraussetzung im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Darüber hinaus hilft dies bei der Integration derjenigen, die mit diesen Welt- und Selbstbildern ihre Ausgrenzung bearbeiten.

Politische Psychologie

Die AFD ist nicht dumm, sondern sehr erfolgreich. Die linken, alternativen und aufgeklärten Menschen sind prinzipiell auch nicht dumm, aber wenig erfolgreich. Ihnen fehlt ein Zugang zu dem, was uns alle in eine gute Bewegung bringt. Dieser Zugang ist zentral für eine Psychologie, die sich auch politisch versteht und einer Politik, die allen Ebenen des Menschseins gerecht wird.


[1] DIW-Berlin. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung. Marcel Fratzscher (Aug. 2023): Das AfD-Paradox

[2] Wilhelm Reich: Die Massenpsychologie des Faschismus liegt in zwei Versionen vor. Zum einen die Originalausgabe von 1933. Aus der Vorrede aus diesem Buch stammt das Zitat, S.12. 1942 bringt Reich eine stark erweiterte Version heraus, die u.a. jetzt auch die Sowjetunion kritisiert

[3]Zur Einordnung des Buches siehe die Rezension von H.-P. Heekerenz: Wilhelm Reich, Andreas Peglau u.a.: Massenpsychologie des Faschismus

[4] Brecht, Karen (1985): „Hier geht das Leben auf eine sehr merkwürdige Weise weiter …“, Hamburg, S. 101.

[5] Peglau, Andreas: Unpolitische Wissenschaft. 2017

[6] Brecht 1985: „Hier geht das Leben auf eine sehr merkwürdige Weise weiter …“, S. 103 Eitingon in der Beschlussfassung in der DPG 1933

Ingo Diedrich Ausgrenzung mit Gewalt

[7] Eine Kurzfassung der Ergebnisse der Studie (download): Ingo Diedrich: Die vier Typen der Bearbeitung von Ausgrenzungserfahrung. Die Hallenser Biographiestudie zur Jugendgewalt (Soziale Arbeit, 56(7): 2007, 250-260)
Eine ausführliche Darstellung mit Diskussion (download): Ingo Diedrich: Aus – einander – setzung mit Gewalt. Eine orgonomisch-funktionalistische Argumentation. Dieser Text liegt auch als Printversion vor: Ingo Diedrich: Ausgrenzung mit Gewalt
Außerdem: Meyer, Anja:Qualitative Forschung in der Kriminologie: Die Hallenser Biographiestudie zur Jugendgewalt: Die Hallenser Biographiestudie zur Jugendgewalt.

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