Eine lange Reise der Heilung
„Senior Terzani, sie haben Krebs.“ Mit diesem Satz beginnt eine lange Reise mit einem großen Ziel: Der Autor Tiziano Terzani will noch weiter leben, er will „Noch eine Runde auf dem Karussell“[1] fahren.
Die Reise startet in New York mit Operationen, Chemotherapie und Bestrahlung und endet nach fünf Jahren in einer Einsiedelei im Himalaya. Der Leser folgt ihm zu dem Homöopathen nach Italien, den Ayurvedaärzten und dem Ashram in Indien, der Selbsthilfegruppe in den USA, den Geistheilern auf den Philippinen, nach Hongkong, Thailand usw. usw. Terzani möchte leben und nimmt dafür viel auf sich.
Reise der Heilung
Es ist aber keine Reise des Leidens, sondern eher eine Forschungsreise in eigener Sache. Immer wieder lässt er sich neugierig und mit großer Offenheit auf die neue Situation ein.
Ich bin ihm sehr gerne gefolgt, habe sein immenses Wissen aufgesogen und seinen Geschichten gelauscht. Am wichtigsten sind mir aber seine Erfahrungen, die er als Betroffener schildert. Wie erlebt er es, sich dem Geistheiler mit seiner magischen OP-Methode auszuliefern? Und wie ändert er sich äußerlich und innerlich in den drei Monaten, die er im Ashram verbringt? Wie ist es, sich eine Woche intensiv in einer Gruppe mit dem eigenen Tod zu beschäftigen? Er verändert sich auf der Reise und lässt uns daran teilhaben.
Während es zu Beginn noch um den Kampf gegen den Krebs geht, rücken langsam grundsätzlichere Fragen ins Zentrum: wer bin ich, wie kann ich leben und wie den Tod annehmen?
Krieg und Frieden
Das Buch steht gut neben dem Bestseller von Mukherjee über die „Biografie“ der Krankheit.[2] Während hier der schulmedizinische Krieg gegen den Krebs beschrieben wird, versucht Terzani Frieden zu schließen.
Wohltuend ist dabei seine offene und freundliche Sprache, die auch intime Details beschreibt ohne aufdringlich zu sein.
Instandsetzung und Heilung
Für mich am wichtigsten ist seine Unterscheidung zwischen „Instandsetzung“ und „Heilung“. Seinen „Instandsetzern“ in New York ist er sehr dankbar. Sie haben mit high tech und viel Wissen ihm einen Aufschub gegeben. Aber letztlich haben sie ihn wie ein komplexes Auto behandelt, das repariert werden muss.
Heilung ist etwas anderes. Sie wird nicht mit einem gemacht, sondern ist eine Interaktion zwischen dem Heiler bzw. dem Mittel und der eigenen Person. Heilung ist sehr subjektiv.
Heilung ist schlecht greifbar, geht aber über „Placebo“, „man muss nur daran glauben“ oder „alles Psycho“ weit hinaus. Es ist ein aktives darauf Zugehen und gleichzeitig ein Annehmen. Heilung ist ein persönlicher Weg des Suchens und sich finden lassen.
Terzani beschreibt wie ein Ayurvedaarzt ein Medikament speziell für ihn herstellt. Er nimmt es aber nicht ein, weil er weiß, dass ihm im Gegensatz zu den Indern ein kultureller Zugang zu dem Mittel fehlt und es bei ihm nicht helfen würde.
Verlockung
Der Autor scheint seinen Weg gefunden zu haben. Immerhin kann er sein letztes Kapitel mit „Ankunft“ überschreiben.
Aber gerade hier liegt eine Verlockung des Buches: Ich war mehrfach geneigt, mich zu bedanken und seine Erfahrungen mir anzueignen: im Sessel sitzen und sehr plastisch geschilderte Erfahrungen als meine annehmen. Das wäre schön.
Aber es gibt keine Abkürzung der Heilung, sondern jeder Kranke und auch Nichtkranke muss seinen Weg gehen. Dies ist eine Wahrheit des Buches.
Terzani wird aber auch gesagt: „Du wirst den Weg schließlich finden – sofern du den Mut hast, dich zuvor zu verirren“ (S. 713).
Paul Watzlawick sagt: „Wer zu sich selbst finden will, darf andere nicht nach dem Weg fragen.“ Aber es ist eine wohltuende Aufmunterung, einen anderen Menschen in einem berührenden Buch eine Zeit lang zu begleiten.
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Tiziano Terzani: Noch eine Runde auf dem Karussell. Vom Leben und Sterben. Hamburg 2006, 732 Seiten ↑
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Siddhartha Mukherjee: Der König aller Krankheiten. Krebs – eine Biografie. Köln 2015. Siehe auch: Krebs – eine Heldenreise ↑
Ich finde deine Kurzfassung gelungen. Ich kenne das Buch und war ebenfalls sehr berührt von Terzanis Geschichte und von der Aufrichtigkeit, mit der er sie mit uns teilt. Was bleibt ist die Ermutigung, sich zu verirren um sich zu finden – auf andere, vielleicht überraschende Weise. Mir gefällt noch ein Ausspruch von der Künstlerin Paula Modersohn-Becker: „Das Leben ist ein Fest. Es kommt nicht darauf an, wie lange es währt – sondern wie schön es war.“
(Sie starb mit 31 Jahren).
Danke für deinen Kommentar.
Ja, Mut sich zu verirren und das Leben als ein Fest sehen sind beides wertvolle Leitbilder. Und so gut sie sind, so schwer kann es sein, ihne treu zu bleiben. Da ist so eine Ermutigung das Richtige.