Schöne neue Sicherheit
Dass die GRÜNEN für mehr Streifenpolizisten sind, wäre vor einigen Jahren eine dicke Schlagzeile gewesen.[i] Heute wirkt es irgendwie Fehl am Platz: nicht weil sie zu teuer, sondern weil sie zu menschlich sind.
Vor 350 Jahren hatte Thomas Hobbes Angst: Jeder könne sich jederzeit bewaffnen und jeden töten. Niemand sei sicher.[ii] Dem wollte er einen Sicherheit stiftenden Staat gegenüberstellen.
Die Polizei ist das wichtigste Symbol für diese Sicherheit, die den Täter und die Tat ins Zentrum stellt. Solange sie ihre Arbeit effizient erfüllt, können wir unseren Geschäften nachgehen. So sollte eine sichere menschliche Gesellschaft gestaltet werden.
Sicherheit in Zeiten des Terrors
Seit einiger Zeit werden aber die altbekannten Ängste wieder lauter: Jeder kann sich einen LKW oder Waffen besorgen und damit viele Menschen töten. Niemand kann sich sicher sein. Wir nennen es dann Amok oder Terror, um deutlich zu machen, dass sich die Täter nicht an die Spielregeln unserer Sicherheit halten.
Wenn die Ängste in der Bevölkerung laut werden, befindet sich das Sicherheitssystem in einer Krise. Verstärkend kommt hinzu, dass auch die Wissenschaft die Unsicherheit bestätigt. Die Gesellschaft sei so komplex, dass es eine Illusion sei, sie steuern zu können. Risiken werden als „unausweichlich thematisiert“[iii] und es ginge eher um „Techniken der Identifikation, Klassifizierung und dem Managen“.[iv]
Neue Sicherheit und Technik
Wenn die Steuerung der Gesellschaft nicht mehr realistisch ist, haben wir ein großes Orientierungsproblem. Technik kann in dieser Zeit eine wichtige Funktion übernehmen. Drei Punkte dazu:
- Technik kann weiterhin so diskutiert werden, als ob sie ein Werkzeug zu Steuerung der Sicherheit sei. So wird es weiterhin Studien geben, die belegen oder bestreiten, dass Videoüberwachung Kriminalität verhindere. Aber dies wird an Bedeutung verlieren.
- Technik, die sich als Heilsbotschaft direkt auf die Angst richtet, wird wichtig: Fürchtet euch nicht, denn wir haben Kameras installiert, deren Daten von moderner Software ausgewertet wird. Dies schafft mehr Beruhigung als Menschen in Uniform, die doch eh mit dem Problem überfordert sind.
- Am wichtigsten wird es aber sein, mit Hilfe der Technik eine neue vertrauensstiftende Umgebung zu installieren. Sie muss dazu vom Bild getrennt werden, Werkzeug dunkler Mächte – eines Überwachungsstaates – zu sein. Je glaubhafter ausgedrückt wird, dass der Mensch sich aus der Steuerung zurückzieht, desto einleuchtender wird die Neutralität der Maschinensicherheit.
Computer können dann effektiv Daten auswerten, Risikoszenarien entwickeln und Gefahren managen, ohne von der Unzulänglichkeit des Menschen behindert zu werden. Die so entstehende Ordnung wird der Komplexität gerecht, ist faktengestützt, wissenschaftsorientiert, selbstorganisiert und umfassend.
Schöne neue Sicherheit
Sicherheit bedeutet dann, dass die Risiken gut organisiert und verwaltet werden. Sie sind in guten technischen Händen und wir können sie beruhigt ignorieren. Darum geht es.
Gerade die Nichtmenschlichkeit schafft das nötige Vertrauen. Diese künstliche Intelligenz ist von vornherein systemisch aufgebaut und somit unserer Gesellschaft und dem internationalen Terror angepasster als die individuelle menschliche Vernunft.
Der Kognitionsforscher Joscha Bach meint: „In Wirklichkeit werden wir nicht neben den künstlichen Intelligenzen leben […], sondern in ihnen. […] Für diese intelligenten Systeme werden Roboter eher die Gliedmaßen sein. Und wir Menschen sind dann eher wie das Mikrobiom der Darmflora dieser künstlichen Intelligenzen.“[v]
Science Fiction? Mag sein, aber die Richtung stimmt.
Die menschliche und somit auch lebendige Vernunft wird immer mehr als nicht ausreichend dargestellt und durch computergestützte Datenverarbeitung ersetzt. So scheint es längst akzeptabel, dass Wissen und Finanzen durch „Algorithmen“ anstelle des Verstandes gesteuert werden.
Kapitulation der Aufklärung
Das ist eine Kapitulation der Aufklärung, die uns versprochen hatte, mit der Vernunft eine menschliche Gesellschaft zu gestalten. Stattdessen gehen wir mit großen Schritten in eine neue „selbstverschuldete Unmündigkeit“[vi], in der wir uns freiwillig nicht menschlichen und nicht rationalen Strukturen unterwerfen und darin unsere Sicherheit suchen.
Und schon jetzt werden viele sagen: ja stimmt, aber was sollen wir denn sonst machen …?
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[i] Der Tagesspiegel 18.08.2016: Grüne wollen mehr Polizei auf den Straßen
[ii] Hobbes, Thomas (1996): Leviathan. Stuttgart. S. 90/91; vgl. Diedrich: Aus-einander-setzung mit Gewalt S.219-228; vgl. auch: Hobbes – geboren mit der Angst
[iii] Groenemeyer 2001, S. 161; Groenemeyer, Axel (2001): Von der Sünde zum Risiko? Bilder abweichenden Verhaltens und die Politik sozialer Probleme am Ende des Rehabilitationsideals. In Soziale Probleme 12 (1/2), S. 146–182.
[iv] Groenemeyer 2001, S. 163 Der Artikel beschreibt mehrere kriminologische Modelle, die auf diesen Grundvorstellungen basieren. Meine Argumentation kann als eine weitere Variation gelesen werden.
[v] Die Tageszeitung TAZ 28.12.2016 S.17: „Künstliche Intelligenz ist ein philosophisches Projekt“. Online: Forscher über Intelligenz von Robotern. „Unser Geist liegt in Fesseln“
[vi] Immanuel Kant: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“ Immanuel Kant (1784): Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? Königsberg in Preußen.
Lieber Ingo,
Danke dass du mich an deinen Gedanken und deinem Denken teilhaben lässt. Ich habe bisher immer bereichernde Denkanstöße von den Besuchen deines Blogs mit in meinen Alltag genommen. Die Irritation und die Provokation hilft sehr offensichtlich eindeutigen Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten und ihre andere Bedeutung zu erkennen.
Herzliche Grüße,
Martin
Lieber Martin,
das freut mich wirklich sehr! Danke!
herzliche Grüße in den Süden, wo auch immer der gerade ist …
Ingo