Romantische Liebe – jetzt kokreativ
Die Liebe ist kein Abenteuer, sondern Dienst und Opfer des einen für den anderen. (Kemner[i])
Liebe innerhalb und außerhalb der Ehe
Die Ehe bietet Orientierung und Stabilität. Hier können der Besitz verwaltet und die Kinder aufgezogen werden. Regeln, Rituale und eindeutige Rollen geben die Struktur dazu.
Die Liebe ist dementsprechend von Einpassung und Zurückhaltung geprägt. Sexualität ist eine Notwendigkeit zur Zeugung der Nachkommen. Sie ist eine eheliche Pflicht.
Völlig fehl am Platz ist die Leidenschaft. Sie würde mit ihrer Unberechenbarkeit die Stabilität untergraben.
Die leidenschaftliche Liebe kann nur außerhalb der Ehe in geduldeten Nischen gelebt werden.
Diese Unterscheidung zwischen Liebe innerhalb und außerhalb der Ehe ist sehr weit verbreitet.[ii] Auch bei uns war sie lange selbstverständlich. Entgegen den tierischen Leidenschaften war die Ehe die Basis der menschlichen Gesellschaft.
Es war nicht unbedingt schön, aber wohl geordnet.
Romantische Liebe
Ab dem 18. Jahrhundert ändert sich dies. Man glaubte, die leidenschaftliche Liebe könne in die Ehe integriert werden. Manche wollten sie sogar zur Grundlage der ehelichen Liebe erklären.
Die Strukturen sollten bleiben und gleichzeitig sollte das Gefühl Einzug erhalten. Die Pflicht zum Sex wurde (bis heute) beibehalten und gleichzeitig sollte man sich verlieben. Es entstand das Ideal der „Liebesheirat“ und gleichzeitig war die Herkunft bei der Wahl weiterhin bestimmend.
Die Ehe wurde emotional aufgeladen und mit großen Widersprüchen und Spannungen bestückt. Da so die ritualisierten Strukturen instabil wurden, musste das Ideal der Dauer implementiert werden. „Bis dass der Tod euch scheidet“ war keine Beschreibung mehr, sondern wurde zur sehnsuchtsvollen Durchhalteparole. Es kamen ganz neue Themen in die Ehe: wie kann man Begehren langfristig aufrechterhalten? Wie geht man mit Sehnsucht um? Und was ist mit der Treue? Wenn jetzt Leidenschaft außerhalb gelebt wurde, war das ja auf einmal ein Angriff auf die eheliche Liebe.
Die romantische Liebe ist intensiv, aber kein Zuckerschlecken. Und insbesondere im Alltag eine immense Herausforderung.
Romantische Liebe – differenziert
Aber damit nicht genug. Spätestens ab dem 20. Jahrhundert kam mit der Individualisierung noch ein weiteres Spannungsfeld hinzu. Die Menschen wollen die Beziehung, aber gleichzeitig ihre Individualität. Die Pole Autonomie und Bindung drohen die Beziehung zu zerreißen. Neben dem „ein Herz und eine Seele“ werden die Unterschiede deutlich herausgearbeitet.
Und mit der Emanzipation werden die Rollen und Abhängigkeiten in Frage gestellt. Die alten Strukturen werden spröde und die Emotionen bekommen immer mehr Bindungsaufgaben.
Für den Paartherapeuten Schnarch[iii] bestimmt der Differenzierungsgrad über die Qualität der Bindung. Nur wer deutlich bei sich ist, kann sich beziehen.
Das ist Romantik für Fortgeschrittene.
Romantische Liebe – kokreativ
Wer meint, das Maximum an Spannung sei so erreicht, irrt. Im 21. Jahrhundert kommt noch eine weitere Anforderung an die Liebe hinzu: die Entwicklung.[iv] Wir sollen nicht nur unterschiedlich sein, sondern uns auch bis zum Tod fortlaufend ändern. Nur so können wir mit der Gesellschaft mithalten.
Alles soll anders sein und sich ändern, aber die Liebe soll bleiben![v]
Auch für diese akrobatische Spannungsbearbeitung gibt es schon einen Fachbegriff: Ko-Kreation.[vi] Liebe ist, gemeinsam eigene Wege gehen.
In der romantischen Liebe ist offensichtlich eine geheime Freude an Überforderung versteckt.
Es gibt da noch so viele Fragen ….
… und dabei habe ich die queere und polyamore romantische Liebe noch außen vor gelassen.
Quellen
[i] Kemner, Heinrich (1968): Liebe oder Leidenschaft. Stuttgart. S. 29-30
[ii] Ariès, Philippe (1995): Liebe in der Ehe. In: Ariès, Bejin u.a.: Die Masken des Begehrens und die Metamorphosen der Sinnlichkeit. Zur Geschichte der Sexualität im Abendland. Frankfurt am Main. S. 165–175.
[iii] Schnarch, David (2015): Die Psychologie sexueller Leidenschaft. München
[iv] Luhmann erklärt den Wechsel im 18 Jh. u.a. damit, dass die Personen als „änderbar, als entwicklungsfähig, als perfektibel begriffen“ werden. Die (leidenschaftliche) Liebe kann so „als bestandsfähig, ja schließlich sogar als mögliche Ehegrundlage“ gedacht werden (S.126).
Daran anschließend kann man zum aktuellen Wechsel sagen, dass die Menschen nicht mehr nur als entwicklungsfähig gedacht werden, sondern einem Entwicklungszwang unterworfen sind. Aus der unbeständigen leidenschaftlichen (außerehelichen) Liebe bis zum 18. Jh. wurde das Ideal der konstanten Liebe bei perfektiblen Menschen und jetzt sind wir bei der optimierenden Liebe, in der sich die Menschen und ihre Liebe fortlaufend ändern. (Aber das ist ein anderes Thema).
Luhmann, Niklas (2015): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Frankfurt am Main
[v] Rosa spricht von „Resonanzoasen“. Während durch die Veränderungszwänge Entfremdungserfahrungen (Wüste) vorherrschen, sollen die Beziehungen dem ein Gegengewicht bieten und werden so überfordert.
Rosa, Hartmut (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin
[vi] Es gibt schon Tagungen zu dieser neuen Liebe: Become love. 3. Philosophie Festival der Liebe (war schön da …)
Auch dieser Begriff hat Vorläufer. So z.B. in „Koevolution – die Kunst gemeinsamen Wachsens in Partnerschaft“. Jürg Willi: Ko-evolution. Die Kunst gemeinsamen Wachsens. Reinbek bei Hamburg. 1985. S.123ff
ufff…. Gott sei Dank weiß ich nicht was queere und polyamore heißt…..
ja, wenn ich das Gelesene mit meinen Verstand aufnehme hat die Liebe, die uns in Beziehungen führt ja kaum noch eine Chance „alt“ zu werden…..
Zum Glück bietet grad die Liebe es an, neben dem Verstand auch andere Wahrnehmungsebenen zuzulassen und da bin ich ganz optimistisch
vielleicht gelingt es zunehmend sich auf andere, eher ungewohnte Wahrnehmungsebenen einzulassen, weil sich alles so rasant entwickelt, so dass der Verstand (zumindest meiner) oft nicht mehr mit will……
Liebe Annette,
vielen dank für deinen Kommentar. Spannend, ich erlebe die Überforderung nicht im Verstand, sondern z.B. im Gefühl. Hier kollidieren doch oft die ganzen unterschiedlichen Erwartungen. Der Verstand macht das doch nur deutlich.
Welche anderen Wahrnehmungsebenen meinst du eigentlich?
Die Freude an der Überforderung ist nicht besonders geheim….sondern immanenter Bestandteil unseres Systems ( Petersen Prinzip : so lange durch Beförderung überfordern bis kaputt ) das färbt auch auf das zwischenmenschliche ab……
Lieber Erwin,
das hört sich spannend an. Die Entwicklung zielt auf Überforderung und macht dann Halt. Und das ist im System verankert. Das erklärt einiges in den Beziehungsmodellen. 😉 Danke!
https://youtu.be/oE5CUQFAE0c
Lieber Ingo,
Das habe ich nicht verstanden….
Ein Gefühl ist doch „nur“ ein Gefühl.
Zündstoff ist der gedankliche Inhalt zu dem Gefühl und der kommt vom Verstand….
ich möchte meinen Verstand,den rationalen Geist nicht missen aber ich erlebe ihn sehr dominant.
Ich meine die sinnliche Wahrnehmungsebene. Sich auf diese Wahrnehmungen einzulassen finde ich hochspannend. Leider kommt bei mir doch immer recht schnell der rationale Geist dazwischen und trennt mich von der sinnlichen Wahrnehmung….aber wie du weißt
ich übe
Liebe Annette
Als so einen Kopfmenschen erlebe ich dich gar nicht 😉
Kleines Beispiel: Stellen wir uns einen Menschen vor, der dies Konzept der romantischen Liebe verinnerlicht hat. Er lebt in Beziehung mit einer starken Bindung und verliebt sich aber leidenschaftlich in eine andere Person. Es ist doch naheliegend, dass so eine Person hin- und hergeschüttelt wird von vielen Gefühlen: Lust, Schuld, Lebendigkeit, Trauer, Erstaunen, Angst, Erstarrung, Zerbrechlichkeit, Beschämung, Sehnsucht usw. usw.
Und dafür brauche ich doch keinen Verstand. Natürlich kann der auch was dazu sagen, er kann klären, orientieren oder mit klugen Ratschlägen alles noch schlimmer machen, aber das Gefühlschaos ergibt sich doch schon aus den widersprüchlichen Ansprüchen dieser Situation, oder.
Ingo