Sicherheitsgefühle und falsche Therapeuten
„Wer sich in Sicherheit wiegt, wird oft nur verschaukelt.“
Sicherheit
Recht und Ordnung sind Grundpfeiler unseres Staates. Schritte gegen das Recht werden als Kriminalität von der Polizei verfolgt.
Sicherheitsmaßnahmen sollen die Ordnung aufrechterhalten. Der Staat stellt die Sicherheitsorgane und die Bürger können in diesem gesicherten Rahmen ihren Geschäften nachgehen.1
Einmal im Jahr wird die Polizeiliche Kriminalstatistik präsentiert. Dieser Arbeitsbericht der Polizei soll zeigen, in wie weit der Staat seine Aufgabe erfüllt.2 Die Kriminalstatistik ist der wichtigste Indikator für die Sicherheitslage der Nation: Steigt z.B. die Gewaltkriminalität oder bleibt sie konstant?
Sicherheitsgefühle
Die Sicherheitsgefühle beziehen sich ebenfalls auf die Sicherheitslage. Hier geht es aber nicht um die Perspektive des Staates, sondern um die der Bürger. Wie sicher fühlen sich die Menschen?3 Haben sie Angst davor, allein spazieren zu gehen? Installieren sie Alarmanlagen? Parken sie ihr Auto auf unbewachten Parkplätzen? Fordern sie Videoüberwachung im öffentlichen Raum? Inwieweit erleben sie die Situation als stabil?
Beispiel: Eine ältere Frau fühlt sich unsicher. Sie nimmt eine hohe Instabilität auf der Straße wahr. Sie geht nur noch selten vor die Tür, zieht sich vom öffentlichen Leben zurück und vereinsamt.
Die häufigste Angst richtete sich in den 90er Jahren auf gewalttätige Jugendliche. Heute stehen Einbrüche und islamistischer Terror im Vordergrund.4 Oft sind diese Ängste eingebettet in umfassendere sog Lebensängste.5
Probleme mit den Unsicherheitsgefühlen
Diese Unsicherheitsgefühle können für die Menschen sehr problematisch und bedrohlich sein. Professionelle Unterstützung bieten zahlreiche Berater und Therapeuten an. Sie sind darin geschult, mit Ängsten zu arbeiten.
Aber auch der Staat hat Probleme mit den Unsicherheitsgefühlen der Bürger: Diese Menschen verlieren ihr Vertrauen in die Sicherheitsorgane und der Staat verliert an Legitimität.
Beunruhigte Menschen können darüber hinaus unruhige Menschen werden. Sie fordern dass der Staat mehr für die Sicherheit tun solle. Dieser kontert, dass die Ängste irrational seien und der Staat seiner Pflicht nachkomme.
Feinde der Ordnung
Um die Legitimität des Staates wieder zu stärken, ergibt sich für den Staat eine neue Strategie: Die Unsicherheitsgefühle der Nicht-Kriminellen werden als Feinde der Ordnung bekämpft.6 Im Fokus der Polizei stehen jetzt neben den Tätern und der Tat die potentiellen Opfer und deren Gefühle.
Eine Methode ist dabei, die Bekämpfung von Kriminalität zu simulieren. So werden Kameras aufgehängt und Polizisten auf Streife geschickt,7 nicht etwa um tatsächlich Verbrechen aufzuklären, sondern um gegen die Ängste der Bürger vorzugehen.
Die Polizei interessieren die Ängste nicht, sondern der Vertrauensverlust des Staates. Zur Durchsetzung der staatlichen Interessen betätigen sie sich als Therapeuten mit psychologischen Interventionen.
Die Polizei soll und sie will uns in Sicherheit wiegen. Sie will nicht nur zeigen, dass sie was tut – sie tut was mit den Gefühlen der Menschen – und zwar explizit.
Sicherheitsgesellschaft
Seit Jahren werden wichtige Aspekte des Zusammenlebens umdefiniert. Insbesondere in der Präventionsarbeit werden z.B. aus normalen sozialen Kompetenzen „Schutzfaktoren“ gegen Kriminalität. Risiken und Sicherheit werden zu zentralen Koordinaten. Die Menschen werden allerdings nicht nur aus der Sicherheitsperspektive betrachtet, sondern auch von Sicherheitsorganen bearbeitet.
Der vermeintlichen Sicherheit wird immer mehr untergeordnet. Sicherheitspolitik richtet sich nicht auf einen bestimmten Bereich, sondern wird immer stärker zum allgegenwärtigen Querschnittsthema. Sicherheitsgefühle werden immer stärker zum Objekt der Politik.
In zahlreichen Präventionsprojekten arbeiten Polizisten und Sozialarbeiter zusammen. Sie sollen zukünftiges Fehlverhalten verhindern. Wenn die Angst der normalen Bürger immer weiter in den Vordergrund rückt, werden demnächst auch Berater und Therapeuten mit der Polizei zusammen für mehr Sicherheit sorgen.
Die Grenze zwischen therapeutischer Arbeit und Sicherheitsarbeit verschwimmt.
Wenn Sie das nächste Mal eine Streife sehen, können Sie nicht wissen, ob diese tatsächlich Kriminalität verhindern will oder ob es ein therapeutisches Schmierentheater ist, das Sie zum Klienten der Polizei erklärt. Es wird eine trügerische Welt aufgebaut, in der Polizisten wie Schauspieler nur vorgeben, etwas gegen Kriminalität zu tun. Stattdessen wenden sie sich gegen die Angst der Bürger, die sie darin betrügen.8
Die Exekutive ist zur Durchsetzung des Rechts da. Die als Fürsorge getarnten scheintherapeutischen Maßnahmen sind Übergriffe des Staates auf die Psyche der Menschen.
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Quellen
- Claudia Heine, Karolina Förster, Kristina Wagner: Das subjektive Sicherheitsempfinden der Berliner Bevölkerung. In: Hans-Gerd Jaschke: Polizei und Öffentlichkeit – Öffentlichkeitsarbeit der Polizei. Projektbericht im Fach Politikwissenschaft. Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement. Beiträge aus dem Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement. Nr. 08/2011. S.6-38 http://www.hwr-berlin.de/fileadmin/downloads_internet/publikationen/Beitraege_FB5/FB5_2011-03-11_TIT_Polizei-Oeffentlichkeitsarbeit_08-11.pdf (10.2.2015)
- Helmut Hirtenlehner: Kriminalitätsfurcht – Ausdruck generalisierter Ängste und schwindender Gewissheiten. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 58, Heft 2, 2006, S. 307-331
- Thomas Hobbes: Leviathan. Stuttgart 1996
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Landeskriminalamt NRW: Individuelle und sozialräumliche Determinanten der Kriminalitätsfurcht. Sekundäranalyse der Allgemeinen Bürgerbefragungen der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Forschungsberichte der Kriminalistisch-Kriminologischen Forschungsstelle Nr. 4. Düsseldorf. 2006
- Frank Neubacher: Kriminologie, Baden-Baden, 2011, S.45-53 Kap. 4 Kriminalstatistiken
- Karl-Heinz Reuband: Kriminalitätsfurcht. Erscheinungsformen, Trends und soziale Determinanten. In: H.-J. Lange, H. P. Ohly, J. Reichertz (Hrsg.): Auf der Suche nach neuer Sicherheit, Wiesbaden 2009 S. 233-252
- Christoph S. Schewe: Das Sicherheitsgefühl und die Polizei. Darf die Polizei das Sicherheitsgefühl schützen? Berlin 2009
Hallo
Wenn das so ist, ist das erschreckend. Ich denke mir, dass, wenn der Staat wollte, dass seine Bürger keine Angst haben, er auch einfach Aufklärung betreiben könnte, statt so Bericht zu erstatten bzw. eine Berichterstattung zuzulassen, dass „man“ meint, hinter jeder Ecke lauere ein islamistischer Verbrecher oder gewaltbereiter Jugendlicher.
Wenn der Staat wollte, könnte er doch ab und zu mal eine Statistik veröffentlichen (lassen), aus der – idealerweise mit einem entsprechenden Bericht verknüpft – hervorgeht, dass die arme alte Dame einen ganz dramatischen Schrecken davon getragen hat, als sie ihres Portemonnaies auf dem dunklen Nachhauseweg beraubt wurde, dass aber in Deutschland (oder in NRW/Göttingen/…) jährlich x Damen dieses Schicksal erleiden (und nicht, wie so oft angenommen, jeden Tag ein Vielfaches dieses Wertes).
Diesen Gedanken hatte ich jedenfalls schon einmal, als ich gehört habe, wie viele Morde in Deutschland jährlich begangen werden (von denen jeder einzelne natürlich ganz schrecklich ist, ich will hier nichts herunterspielen). Das relativiert doch so einiges.
Ich habe so manches Mal eher den Verdacht, dass unsere Ängste dem Staat ganz recht sind und er sie auch gern fördert, z.B. auch durch die von Dir beschriebenen Maßnahmen.
Liebe Grüße
Ela
Hallo Ela.
Ich glaube der Staat hat ein durchaus ambivalentes Verhältnis zur Angst. Ohne Angst vor seiner Macht, vor dem Gewaltmonopol würde ja evtl alle Sicherheit zusammenbrechen. Alle würden einfach wieder das machen, was sie wollten. Er hat entsprechend z.B. der Staatstheorie von Hobbes die Pflicht, Angst glaubwürdig zu verbreiten. Auf der anderen Seiten will er v.a., dass die Bürger ihm glauben, dass er für Sicherheit sorgt, dass sie keine Angst haben müssen. Dies unterstreicht er eben oft mit dem Verweis auf die PKS.
So sehe ich das.
Vielen Dank für deine Kommentare!!
Liebe Grüße
Ingo