Gerne jammern

Ich jammere gern. Nein, nicht gern, aber oft. Es ist so eine lammentierende Grundhaltung, so als ob ich nicht bekomme, was ich brauche und was mir doch irgendwie auch zusteht.

Ich strenge mich doch an, ein guter Mensch zu sein, nett zu den anderen und moralisch korrekt. Und trotzdem ist da dieses Gefühl, dass das wahre Leben an mir vorbei geht. Meine Rechnung geht nicht auf. Aber vielleicht liegt es ja gerade an dieser Rechnung, dass sie nicht aufgeht.

Jammern ist unsexy. Wer mag schon Menschen, die nicht mit sich im Reinen sind, die nicht aufrecht ihren Weg gehen, sondern zweifeln, hadern. Ich sehe Menschen, die Zuversicht ausdrücken, die bei allen Problemen Handlungsfähigkeit und Selbstgewissheit ausstrahlen. Sie sind bewundernswert und irgendwie aus einer anderen Welt

Manchmal, wenn ich mich gut finden möchte, sage ich mir, dass Jammern den Zeiten doch angemessen sei, dass ein desillusionierter Realist doch nur zweifeln und jammern könne. Die Stärkung der eigenen Ausblendungskraft ist doch keine Lösung. Und dann glaube ich mir diese Argumente selber nicht.

Jammern in meiner Situation ist unverschämt. Das ist auf keinem hohen Niveau, sondern platt in der Ignoranz wie gut es mir faktisch geht. Ingo, sei endlich zufrieden.

Aber darin liegt ja gerade die Leistung meines Jammerns: ohne einleuchtenden Grund schaffe ich es trotzdem.

Aufgrund meiner guten katholischen Erziehung weiß ich, dass nach dem Jammertal hier auf Erden, die Belohnung im Himmel kommt. Ja, durchhalten und hoffen ist angesagt. Wenn nur die Scham nicht wäre …

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3 Kommentare
  1. Annette Gramß
    Annette Gramß sagte:

    Lieber Ingo,
    Jammern ist interessant.
    Ich konnte auch ganz gut folgen bis auf den letzten Absatz.
    Meinst du das ironisch?
    Ich bin nicht sicher, ob du in den Himmel kommst ….
    und Scham vorüber?

    Ich jammere auch gerne ausführlich, ist ja echt viel richtig doof.

    Ich begeistere mich auch gerne ausführlich, ist ja echt viel richtig gut.

    Annette

    Antworten
    • Ingo Diedrich
      Ingo Diedrich sagte:

      Liebe Annette
      schön, dass du meinen Gedanken weitgehend folgen kannst.
      Ja, in dem Artikel steckt sicher auch etwas Ironie.
      Warum du allerdings bezweifelst, dass ich in den Himmel kommen, verstehe ich nicht.
      Und Jammern ist mir einfach peinlich, darum die Scham.
      Liebe Grüße
      Ingo

      Antworten
  2. Annette Gramß
    Annette Gramß sagte:

    warum ich bezweifle dass du in den Himmel kommst?
    na, ist doch klar!
    Weil du dich zu wenig für den Himmel begeisterst oder andersherum zu oft jammerst, am Jammertal festhältst…
    lieben Gruß Annette

    Antworten

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