Corona, Danke

Dass es mal einen Lockdown gibt, der in diesem Maße die ganze Gesellschaft betrifft, hätte ich noch vor einem halben Jahr (Anfang 2020) nicht für möglich gehalten.

Danke Cororna Lockdown Klimawandel

Es gibt ja sehr gute Gründe endlich innezuhalten. Die Natur ruft uns schon seit Jahren zu: verlasst euer Hamsterrad und überdenkt zumindest für kurze Zeit euer Suchtverhalten und Gejammere, nichts tun zu können. Wir sollen endlich mal wieder so tun, als ob wir Wesen wären, die noch entscheiden würden. Aber die Blamage geben wir uns nicht, wir machen einfach immer weiter.

Aber jetzt kommt Corona daher und unsere Regierung legt die Wirtschaft und das soziale Leben lahm. Das hat einen sehr hohen Preis, den wir zahlen müssen. Aber seltsamerweise nutzt das dem Ansehen dieser doch so blassen Koalition auch noch. Was ist los?

Risiko Klima

Der Soziologe U. Beck hatte 1986 beschrieben, wie wir mit der Produktion unserer Reichtümer fortlaufend immer neue Risiken schaffen [1]. Der Klimawandel ist ein prominentes Beispiel dafür. Katastrophen sind nicht mehr der Ausdruck einer noch unbeherrschten Natur, sondern einfach nur die Konsequenz unseres Handelns.
Das macht es ja so schwer, gemeinsam gegen den Klimawandel vorzugehen: wir sind alle auch die Produzenten dieses Risikos. Wer ist der Feind und wer sind die Guten?

Diese Auseinandersetzungen erschöpfen und wir legen uns lahm. Jeder weiß, dass wir in eine Sackgasse rennen. Aber wer darf den „ersten Stein werfen“? Die Klimadiskussion ist zermürbend und würde nie zu einem Lockdown führen.

Corona, endlich wieder ein richtiger Feind

Und nun kommt Corona daher. Natürlich ist auch diese Pandemie ein Ausdruck unserer weltweiten Reichtumsproduktion und selbst die Veganer können ihre Hände nicht in Unschuld waschen.

Corona Feind und Helden

Aber es ist gelungen, die Pandemie als ein medizinisches Problem darzustellen. Da gibt es einen Virus, der von außen kommt und uns fertig machen will. Und mit „uns“ sind alle Menschen gemeint – weltweit. Endlich ist da wieder ein Feind, der in der Lage ist, uns zu einen. Das ist regelrecht erleichternd. Es geht nur noch darum, welche Mittel in diesem Kampf sinnvoll und angemessen sind.

Und so wie Deutschland zur Fußball WM Millionen perfekte Trainer hat, so gibt es auch in dieser Auseinandersetzung viele Menschen, die die Maßnahmen heftig kritisieren. Aber auch hier gibt es die klare Ordnung wie früher: die Freunde und die Feinde, die Verschwörer und die Wissenden. Nichts von dem zähen Ringen der befangenen Menschen, die unter dem Risiko leiden, das sie selbst produzieren.

Danke Corona!

Also Danke Corona, dass du dich uns als klaren Feind anbietest, den wir wie früher bekämpfen können. Wir können unser Wissen, unsere Disziplin und unser Geld bündeln und zielgerichtet gegen dich einsetzen. Wir können mit den anderen wetteifern und zeigen, dass wir viel bessere Kämpfer als die Amis sind. Und wenn wir glimpflich aus der Krise hervorgehen, können wir uns wohlwollend zunicken und „gut gemacht“ sagen.

Prävention Risikogesellschaft Corona Lockdown

Corona bekämpfen – Prävention stärken

Die Risikogesellschaft verändert nicht nur den Blick auf die Probleme, sondern auch unseren Umgang mit ihnen. Wer heute ein neues Produkt entwickelt, sollte abschätzen können, wo die Risiken liegen. Das heißt, die Prognose bzw. die Risikoabschätzung wird immer wichtiger. Dies ist gerade in Deutschland sehr deutlich zu sehen. Der Umgang mit Covid-19 ist geprägt von Prognosen: was ist zu erwarten, wenn welche Bedingungen gegeben sind? Es geht um Prävention und wenig um Sanktion (mehr dazu siehe hier). Das ist sicher gut: Zähne putzen ist besser als bohren. Aber diese Präventionsorientierung hat auch viele Nachteile, die unsere Gesellschaft immer stärker prägen.

Risiken und das Misstrauen

Im Kindergarten werden zahlreiche sogenannte primäre Präventionsprojekte gegen Gewalt durchgeführt. Früh lernen die Kinder Konflikte ohne Gewalt zu lösen. Solche Projekte machen aber nur Sinn, wenn ich in diesen dreijährigen Jungen und Mädchen potentielle Gewalttäter sehe. Diese Risikoabschätzung verändert die Identität der Kinder und unseren Umgang mit ihnen.

Als ich zum ersten Mal in das erschrockene Gesicht einer Frau geschaut habe, die mir im Gang eines Supermarktes entgegenkam war klar: ich bin für sie jetzt nicht nur im dunklen Park eine Gefahr, sondern auch im hell erleuchteten Supermarkt – selbst mit Nasenmundschutz.

Prävention funktioniert nur mit Misstrauen. Wir werden immer stärker ein Land, das Sicherheit im Misstrauen sucht.

Distanzierte Misstrauensgesellschaft

Nur wenn ich Gewalt oder Covid-19 als potentielle Gefahr wichtig nehme, macht Prävention Sinn. Dies ist eine wichtige Lehre der Risikogesellschaft, die wir Dank Corona hautnah bzw. distanziert erleben dürfen. Der Umgang mit Corona hat gezeigt, dass jeder Mensch – auch der freundlichste – eine potentielle Gefahr ist. Und Prävention heißt hier Distanz. Distanz zwischen den Menschen wird immer stärker zu einem Merkmal unserer präventionsorientierten Gesellschaft.

Hoffnung Corona Lockdown Eisenstein

Charles Eisenstein fordert uns in seinem Artikel „Die Krönung“ [2] auf, uns zu entscheiden, wie wir damit umgehen wollen. Wie weit wollen wir dieser Logik der Risikoorientierung, Sicherheit, Kontrolle und Prävention folgen und welche Möglichkeiten bieten sich ansonsten?

Corona hat uns gezeigt zu was wir in der Lage sind, hat uns gezeigt, dass unser Kleinmut in Bezug auf unsere Probleme nicht nötig ist: das Klima, die Ungerechtigkeit, die Artenvielfalt und unsere Lebendigkeit.
Wir können umfassender handeln und tiefere Einschnitte wagen als bisher, ohne uns zu verlieren! Der Lockdown ist somit ein großes Zeichen der Hoffnung.

Danke Corona!


Quellen

[1] Ulrich Beck: Risikogesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986

[2] Charles Eisenstein: Die Krönung. April 2020. (PDF Datei)

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3 Kommentare
  1. Karoline Krempel
    Karoline Krempel sagte:


    Darf’s noch etwas sein?

    Was ich noch brauche, gibt’s nicht an der Theke.
    Genug hab ich vom Reden und Verdreh’n,
    von Käsesorten, Kaffeenamen, Keksen,
    Vorhaben und Versprechen, die entsteh’n.

    Von Einsichten kann ich noch lange zehren.
    Von Klarheit, Forschung und Beweis entzückt,
    entzündet sich ein einfaches Begehren,
    eins, das im Handumdreh’n das Bild verrückt.

    Was darf es sein? Ich hätte gern die Ziele
    artengerecht auf’s Leben aufgeteilt.
    Licht, Luft, Erde, Wasser – viele.
    Und dass ihr euch da etwas mehr beeilt!

    Es darf noch etwas Meer sein, etwas Flüsse,
    etwas Schwimmen drin mit Augen, Hand und Fuß,
    etwas Verständnis, Einfühlung und Küsse,
    von Bäumen Blütenduft und leckeres Pflaumenmus.

    In Hecken Rascheln, Krabbeln, Flattern im Vorbeigeh’n,
    den ganzen Himmel zwitschernd und voll Traum,
    Winde, die für Katz’und Kobold wehen,
    gerne noch für Felder einen Saum.

    Ich bräuchte da noch etwas von der Ganzheit,
    die einen Menschen zu dem Menschen macht,
    der sich von Lust nach Gier und Hass befreit.
    Für etwas Vielfalt ist dann sicher auch noch Zeit.

    Es darf noch etwas Sein sein, wollt ich sagen.
    Genug Verbindung von Tun zu Bedenken,
    darf Einklang werden – das an allen Tagen.
    Vielleicht bleibt dann noch etwas zum Verschenken.

    Karoline

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