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Wilhelm Reich und Papst einig über Sex

Papst Benedikt XVI und Wilhelm Reich beim Gespräch über Sex

Groß war der Druck, endlich den Sex zu befreien.
Und Wilhelm Reichs Bücher schienen den 68ern dafür eine theoretische Basis. So wurde Wilhelm Reich zum Urvater der sexuellen Revolution. Die Ketten wurden gesprengt, alles wurde möglich und durch Reich legitimiert.

Papst Benedikt XVI und Wilhelm Reich beim Gespräch über Sex

Papst Benedikt XVI und Wilhelm Reich beim Gespräch über Sex

Dies funktionierte aber nur, weil Wilhelm Reich sehr einseitig gelesen wurde. Die Argumente, die sich gegen die Moral und Repression richteten, wurden gern genommen. Sein Konzept von der „genitalen Umarmung“ blieb unbekannt. Es spielte auch keine Rolle, dass er sich ständig gegen das “Ficken“ wandte und die „Pornografisierung“ der Gesellschaft (vor 70 Jahren!) kritisierte. Das störte nur das Bild von der eigenen unterdrückten Sexualität und vom „Orgasmuspapst“ Wilhelm Reich.

Sex: die Typen konservativ <-> liberal

Wilhelm_Reich_Dreischichtenmodell

Dreischichtenmodell [i]

Im Vordergrund stand die Repression der Sexualität durch die Kirchen und die Konservativen. Reich zufolge nehmen diese die Bewegungen des Lebens – insbesondere die sexuellen – wahr. Sie machen ihnen aber Angst. Also unterdrücken sie die sexuellen Regungen bei sich und anderen.

Dies wiederum engt die Anderen ein. Sie wenden sich als Liberale von der Angst und der Unterdrückung ab. Ihr Blick geht nach außen in die Weite. Schritte aus der Enge in die Richtung jenseits der Grenze erleben sie als Befreiung. Ungebunden ist hier alles möglich. Was noch zählt ist Toleranz und Verhandlungsgeschick. 20 Jahre vor dieser sexuellen „Befreiung“ warnte Reich vor eben dieser:

„Vorsicht vor dem Freiheitskrämer in Sachen Liebe und Leben! Er meint nicht das was er sagt. Er weiß nichts über das Leben und dessen Schwierigkeiten. Er verwandelt alle Realitäten in Formalitäten und alle praktischen Probleme des Lebens in Ideen über ein zukünftiges Paradies der Menschen.“[ii]

Der Liberale hat sich mit der Abwendung von der Angst auch von der Wahrnehmung des Lebens entfernt. Sein Ausagieren ist eben ungebunden und ohne Bedeutung. Alles ist möglich, aber eben auch irrelevant – Entfremdung pur.

Liberale und Konservative sind so ein eingespieltes Team in der Verhinderung eines stimmigen Sexuallebens: die einen unterdrücken und die anderen agieren aus.

„Das Göttliche im Leiblichen“

Hier die Sendung anhören (7 min)

Auch die Religion bekommt so eine neue Bedeutung. Zum 120 jährigen Geburtstag von Reich wurde dieses Thema nun in einer kurzen Sendung im Deutschlandfunk aufgegriffen. Reich wird in die Nähe des Katholizismus gerückt. Als schöne Pointe wird sogar Einigkeit zwischen Wilhelm Reich und Papst Benedikt XVI hergestellt.

Dies ist eine gelungene Gegenposition zum ewigen Klischee. So entsteht ein neues Feld zwischen einem ‚katholischen‘ Wilhelm Reich und dem Revolutionär der Sexualität. Begriffe wie Freiheit, Sexualität, Kontakt und Religion können so anders diskutiert werden. Und Reaktionen auf die Sendung zeigen, dass Reich nach wie vor irritieren kann.


[i] Dreischichtenmodell vgl. Diedrich: Aus-einander-setzung mit Gewalt S.265ff

[ii] Reich, Wilhelm: Christusmord, Frankfurt/M 1983, S. 307

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4 Kommentare
  1. annette
    annette sagte:

    ja,
    danke Ingo, mal wieder ein hochinteressanter Artikel…….
    wie immer bei deinen Beiträgen bleibt so ein unsicheres Gefühl hab ich das verstanden?
    aber eben diese Irritation gefällt mir……
    und besonders gefällt mir, wenn sich diese Irritationen auf das Thema Sexualität, Kirche, Glauben, Religion und Psychologie beziehen.
    Unsere Angst vor Sexualität und unsere Angst vor „dem Glauben“ hat vermutlich viel gemeinsam.
    Kontrolle abgeben ist nicht die einfachste Übung….. so weit so gut……
    der Papst scheint da geübt im Geiste er kann glauben
    der Reich scheint da geübt im Körper er kann seine Sexualität ausleben
    ich hätt gern Beides
    Wenn Reich nun zum Katholizismus gerückt wird, ist da was gelungen……das von dir beschriebene „neue Feld“
    davon gerne mehr !

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      • annette
        annette sagte:

        solange ich etwas will, habe ich auch Kontrolle…..ich habe ja zumindest eine wage Vorstellung, eine Ausrichtung von dem was ich will,wenn ich will.
        In der Sexualität ist es der Orgasmus. Wenn`s gut läuft über kurz oder lang will ich das dann. Und hier so gegenwärtig zu sein, das ich nicht mehr will, hieße Kontrolle abgeben. Nicht mehr unterscheiden von Wollen,NichtWollen,…….gelingt mir so gut wie gar nicht…….muss ich üben,üben,üben
        In der „Glaubensfrage“ will ich die Begegnung mit Gott……hier alle Vorstellungen abzulegen und „nur“ gegenwärtig zu bleiben ist das gleiche Dilemma…… muss ich üben, üben, üben……..

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