Vitalität – Nachtrag

Vitalität-Puppe-Frau

„Die Frage: Was ist Leben? Hat viele Antworten und am Ende doch keine befriedigende. […] Zu groß ist die Fülle komplexer Erscheinungen, zu verschiedenartig sind die Lebewesen in ihren Merkmalen und Leistungen, als dass eine allgemeine Definition sinnvoll wäre.“ „Dies liegt in der Komplexität begründet, die allen uns bekannten Lebewesen gemeinsam ist.“
Soweit der Molekularbiologe Manfred Eigen[1]

Vitalität-MannAuf den Artikel „Vitalität“ gab es einige Reaktionen. Zusammengefasst können folgende

Punkte genannt werden:

  • Wird in den Studien tatsächlich das gemessen, was gemessen werden soll? Ist z.B. Kronenverlichtung eines Baumes die Folge einer Vitalitätseinbuße oder erholt er sich gerade von einem Stress. Und umgekehrt: Ist der starke Kronenwuchs tatsächlich Ausdruck von großer Vitalität oder eher Folge des erhöhten Kohlendioxid- und Stickstoffgehaltes in der Luft?[2]
  • Der Begriff Leben und somit auch Vitalität ist sehr „schwammig“. Ausgangspunkt ist doch eine Verallgemeinerung von Merkmalen unterschiedlicher Lebewesen. Leben ist eine „Ausdifferenzierung einer zuvor einheitlichen Energieform.“ „Was dieses Leben nun ist, bleibt schleierhaft.“ Man sollte von diesem „dubiosen“ Begriff die Finger lassen. Ähnliches gilt für Vitalität. Irgendwie ist klar, dass er etwas „Gutes“ oder auch „Gesundes“ bezeichnen soll. Mehr aber wohl kaum.
  • Es gibt gute und operationalisierbare Definitionen von Vitalität. Die zahlreichen aussagekräftigen Studien belegen dies.

Vitalitaet-UslarFragen zur Vitalität – eine kurze Antwort

Es stimmt, es gibt zahlreiche Studien, die Vitalität gekonnt operationalisieren. Zwei Aspekte finde ich dabei vor allem erfreulich:

  • Vitalität wird in verschiedenen Wissenschaftsbereichen sehr ähnlich genutzt. Ob es nun um die Betrachtung von Bäumen geht oder um Menschen in Betrieben. Es werden Indikatoren gebildet, die auch jenseits z.B. vom Alter eine Güte beschreiben sollen. Hier bahnt sich ein bereichsübergreifendes Gütekriterium an.
  • Es wird nicht einfach zwischen Tod und Leben unterschieden, sondern die Vitalität ist skaliert. Es gibt die Vorstellung von einem mehr bzw. weniger lebendig sein. Dies erlaubt ein viel genaueres Hinschauen und Abwägen.

In den erwähnten Studien wird der Begriff aber sehr stark von der Empirie her entwickelt. Die eVAA spricht konsequenterweise auch von einer „operationalen Definition“. Eine stimmige konzeptuelle Anbindung an die zugrunde liegende Kategorie Leben habe ich nicht gefunden.

Vitalität New YorkerinDie benutzten Definitionen von Vitalität stellen den Bezug zu den Anforderungen der Umwelt in den Vordergrund (Shigo: „The ability to grow under the conditions present; dynamic action.“[3]). Was zeichnet Bäume aus, unter bestimmten (widrigen) Bedingungen zu überleben? Wenn eine Eiche trotz hoher Umweltbelastung und im Gegensatz zu vielen anderen Eichen wächst, wird ihr eine hohe Vitalität zugesprochen. Großes Wachstum ist somit ein Indikator für Vitalität. Ein in sich geschlossenes stimmiges Konzept.

Ganz im Sinne von survival of the fittest beschreibt Vitalität so vor allem die Anpassungsfähigkeit. Anstatt von Vitalität mit dem impliziten Bezug zur Kategorie Leben zu sprechen, wäre es angemessener von Fitness zu reden.[4]

Vitalität – Leben als Bezugspunkt

Trotz der Schwierigkeiten mit dem Begriff Leben, birgt der explizite Bezug auf diese Kategorie große Möglichkeiten. Zwei Punkte möchte ich nennen:

  • Anstatt sich ständig krampfhaft von einander abzugrenzen (z.B. auf dem Soziologentag von 2006 „Die Natur der Gesellschaft“) könnten Sozial– und Naturwissenschaften sich mit der Kategorie Leben einen gemeinsamen Bezugspunkt aufbauen. Dies könnte eine Grundlage einer effektiven Zusammenarbeit sein.
  • Im rasanten Tempo entwickeln wir Werkzeuge, die tief in unser Leben eingreifen. Wir orientieren uns immer stärker an Regeln und Maßstäben, die sich aus dem Gegebenheiten dieses nichtlebenden Bereichs ableiten. Dies gilt insbesondere für die in den Sozialwissenschaften so wichtige zwischenmenschliche Kommunikation. Sie ist im hohen Maße technikvermittelt.
    Der Zusammenhang zwischen unseren lebendigen Grundlagen und den toten Werkzeugen ist von elementarer Bedeutung. Ein Vitalitätsbegriff, der diesen Bereich bearbeiten will, kommt aber ohne expliziten Bezug auf die Kategorie Leben nicht aus.
    Wie lebendig (vital) ist die virtuelle Welt bzw. wie tot sind Avatare im second life? Wie unterscheidet man einen menschlichen Ausdruck und eine (maschinelle) Imitation dieses Ausdrucks? Oder gibt es keinen Unterschied? Verlieren wir durch unsere Anpassung an die binäre Welt an Vitalität oder gewinnen wir gar?

Viel interessanter als die Unterscheidung zwischen Natur- und Sozialwissenschaften ist die Differenzierung zwischen lebendigen und nichtlebenden Forschungsinhalten.

Vitalität Frau

Uns klar zu werden, was wir als Lebewesen sind, scheint mir in diesem Zusammenhang extrem wichtig. Ich favorisiere die Definition von Wilhelm Reich. Mich fasziniert dabei die breite empirische Basis über fast alle Wissenschaftsgrenzen hinweg, der naturwissenschaftliche Anspruch, dem gleichzeitigen „verstehenden“ Zugang und funktionalistischen Umgang mit der Komplexität.

Aber dazu später mehr …


[1] Manfred Eigen: Stufen zum Leben. Die frühe Evolution im Visier der Molekularbiologie. München 1992. S.33
[2] vgl. dazu Dobbertin, Hug und Waldner: Kronenverlichtung, Sterberaten und Waldwachstum in Langzeitstudien – Welche Indikatoren beschreiben den Waldzustand am besten?
[3] A. Shigo: How trees survive
[4] vgl. Wikipedia

 

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1 Kommentar
  1. Thomas
    Thomas sagte:

    Neben interessanten Inhalten, Ingo, gefällt mitr deine Aufmachung. Sind die Bilder alle von dir?

    Bis nächste Woche, hoffentlich.

    Liebe Grüße

    Thomas

    Antworten

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