Übergänge gestalten

Übergänge gestalten Berufsintegration

Im Zuge der Individualisierung ist die Bedeutung von Übergängen ständig gestiegen.

Die Jugend war schon immer eine Zeit der Übergange. Aber während diese früher stark von außen strukturiert wurden, erscheinen sie heute als zu gestaltendes Problem. Der Übergang von der Schule in die Berufswelt nimmt nach wie vor eine besondere Rolle ein.

Übergänge gestalten Berufsintegration

Haupt- und FörderschülerInnen müssen diesen Übergang früh meistern. In dem „Projekt Zukunft“ von IFAS[1] werden diese Jugendlichen durch persönlichkeitsstärkende und berufsbezogene Maßnahmen darauf vorbereitet. In der wissenschaftlichen Begleitung[2] habe ich u.a. 20 Jugendliche dazu interviewt.

Übergänge Doppelte Berufsintegration

Die Jugendlichen müssen nicht nur einen Platz in der Berufswelt finden, sondern die Berufswelt muss auch ein Platz in ihrer Biografie bekommen.

Nur wenn sie eine positive Bedeutung erhält – als sinnvoll erscheint – wird sie auch angenommen. Diese Integration kann sehr unterschiedlich aussehen. Vier kurze Beispiele:

Claudia – Integration durch Talent

Übergänge gestalten Berufsintegration grünClaudia will ihr Talent umsetzen und Grafikdesignerin werden. Dies ist ein individualistischer Akt der Selbstverwirklichung. Gleichzeitig ist es aber auch ein Versuch der Reintegration der Familie. Sie hat bei den älteren Brüdern gesehen, wie die Familie durch die Ausbildung auseinanderfällt. Indem sie wie diese eine Computerarbeit wählt und wie der Vater ihr kreatives Talent umsetzt, kann sie von einer Zusammenarbeit mit diesen träumen. Der schmerzliche Schritt des Loslassens erscheint so als Integration der Familie innerhalb der Berufswelt.

Mehmet – geschoben und gezogen

Übergänge gestalten Berufsintegration blauMehmet tritt als noch angepasstes Kind auf, das nichts falsch machen will. Er sucht einen Schutzraum, in dem er sich dem schweren Thema nähern kann, ohne tatsächlich eigenständig werden zu müssen. Personen seines Vertrauens sind die Brücken, die ihn in die fremde Berufswelt leiten. Den äußeren Druck, einen Schritt zu tun, kann er so als Ausdruck seiner Kompetenzen Einfühlungsvermögen und Anpassungsfähigkeit erleben.

Denise – realitätstüchtig

Übergänge gestalten Berufsintegration gelbDenise will sehr gerne mit Tieren arbeiten. Im Laufe des Projektes verabschiedet sie sich aber langsam davon. Sie identifiziert diesen Wunsch als „Traum“ und als „Kinderwunsch“. Ihre Schritte erscheinen so als Weg in die Erwachsenenwelt. Sie orientiert sich an der Welt der Mutter und wird einen sozialen Beruf erlernen. Für ihren Traum hat sie sich mit einem „Pflegepferd“ eine Nische in der Freizeit freigehalten.

Markus – unnormal angepasst

Übergänge gestalten Berufsintegration rotFür Markus ist die Berufswelt Ausdruck der Normalität. Er als Punk will auf keinen Fall hier hin. Er ist intelligent und kreativ, er will Geld verdienen, aber nicht arbeiten. Ein Tattoostudio scheint ein gangbarer Kompromiss. Als Markus zu den Skins wechselt, lernt er Arbeit mit Männlichkeit und Respekt zu verknüpfen. Er möchte diese Anerkennung – aber nicht normal werden. Er wird als Mediengestalter arbeiten, um so Geld für seine unnormale Arbeit im Tattoostudio zu erwirtschaften. Nur über diese Konstruktion ist für Markus ein Schritt in die Berufswelt gangbar.

Biografie orientierte Begleitung der Übergänge

Die SchülerInnen benötigen zur konstruktiven Bewältigung des Übergangs Informationen über die fremde Berufswelt und Werkzeuge, sich auf sich und die eigene Biografie einzulassen.

Begleitung gelingt, wenn BegleiterInnen als Insider der Berufswelt auftreten und als solche den Kontakt mit der Welt der Jugendlichen suchen. Sie konstruieren mit den Jugendlichen einen gemeinsamen Raum, in dem die gegenseitige Erkundung im Vordergrund steht.

Die Jugendlichen können so als Experten der eigenen Biografie neue Erfahrungen integrieren. Die Berufswelt kann einen Sinn bekommen. Aber auch die Begleitung wird aufgrund des Einlassens auf die Jugendlichen ihre Interpretation der Berufswelt fortlaufend ändern.

Die Öffnung im gemeinsamen Kontaktfeld ist der Kern einer guten Übergangsbegleitung. Veränderung benötigt Sicherheit und Öffnung. So kann sich die Kompetenz entwickeln, Krisen nicht als Abbruch und Ausstieg, sondern als Übergang zu gestalten.

Die Ausbildung der Lehrkräfte bietet leider nur wenige Ansatzpunkte für so eine Begleitungsarbeit. Aber auch die Fortbildungen in diesem Bereich stehen hier allenfalls am Anfang.[3]

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[1] Institut für angewandte Sozialfragen gGmbH (IFAS)

[2] Vgl. Ingo Diedrich: Wissenschaftliche Begleitung des Modellprojekts „Zukunfts- und Berufsplanung für benachteiligte Jugendliche in Südniedersachsen“. Institut für berufliche Bildung und Weiterbildung (ibbw). Göttingen 2010

[3] Vgl. Ingo Diedrich, Tilman Zschiesche: Bestandsaufnahme des Fort- und Weiterbildungsangebots für Lehrkräfte an beruflichen Schulen bezogen auf das Handlungsfeld der beruflichen Benachteiligtenförderung und den Übergang von der Schule in die Arbeitswelt. Studie im Auftrag des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Ibbw 2009

Auch für den Bereich der Sozialpädagogik liegt ein Bericht vor. Ingo Diedrich, Tilman Zschiesche: Zur Professionalisierung von sozialpädagogischen und weiteren Fachkräften im Übergang von der Schule in die Arbeitswelt. Studie im Auftrag der Robert Bosch Stiftung GmbH. Ibbw 2009

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2 Kommentare
  1. Heinz Peter Wallner
    Heinz Peter Wallner sagte:

    Übergänge zu gestalten ist ein wichtiges Thema, das für uns in Zeiten des Wandels auch immer bedeutsamer wird. Immer öfter tauchen wir in instabile Übergangsräume ein und immer kürzer werden die Phasen der Erholung dazwischen. Danke für diesen spannenden Artikel. Toller Blog – Gratulation!

    Antworten
  2. Ingo Diedrich
    Ingo Diedrich sagte:

    Lieber Herr Heinz Peter Wallner. Ich habe mich sehr über Ihren Besuch und Kommerntar gefreut.
    Ich stimme Ihnen zu. Ich habe sogar manchmal das Gefühl, das das Wort Übergang nicht ganz richtig ist. Es suggeriert immer noch die Vorstellung von zwei stabilen Zuständen, die gewechselt werden. Besser ist doch eher Bewegung und Stabilität zusammen zu denken.
    Ihr Blog hat mich sehr beeindruckt.
    Viele Grüße, Ingo Diedrich

    Antworten

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